Anke Weiler

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Mein Name ist Anke Weiler, geboren in Leipzig am 4. Mai 1970. Meine Eltern sind Günter Weiler und Käthe Weiler, mittlerweile verstorben, beide waren bei der Staatssicherheit gewesen. Mein Vater war Offizier und meine Mutter war zum damaligen Zeitpunkt bei der NVA als Kellnerin, das ist üblich gewesen, glaube ich. Ich war auch in einem NVA-Kindergarten. Geschwister habe ich, eine Halbschwester, zu der ich keinen weiteren Kontakt möchte und auch nicht habe, von meinem Vater aus der zweiten Beziehung, also nach der gescheiterten Ehe. Und groß geworden bin ich teils bei meinen Eltern und dann zum Glück bei meinen Großeltern von der Seite meiner Mutter aus. Was ich nicht wusste als Kind, das ist, dass ich im Grunde genommen, seitdem ich quasi fast geboren bin, dem Jugendamt Leipzig unterstand. Warum? Weil mein Vater gewalttätig war. Was ich später mitbekommen habe, das ist, was ich nicht wusste, dass meine Mutter heimlich Bewerbungen geschrieben hat an die NVA für mich. Ich hatte ein gutes, für mich war es gut, Abschlusszeugnis in der 10. Klasse. Hab diese mit "Drei" beendet bei meinen Großeltern. Und meine Mutter hat mich dann einfach angemeldet bei der NVA in Strausberg. Ich wollte das nicht. Warum das nicht geklappt hat oder wie auch immer es kam, weiß ich nicht, ich bin jedenfalls dankbar dafür und bin dann nach Eisenhüttenstadt gekommen in die Lehre, ins Internat. Und das Internat wollte, dass ich Kontakt zu meinen Eltern aufbaue. Ich bin nach Leipzig gefahren mit meinen Sachen und habe mich unheimlich - eigentlich komischerweise - auf meinen Vater gefreut, von Bildern her war mein Vater für mich immer der schönste Mann, den es gab. Vom Charakter war es der schlimmste. Das war für mich so eine Sache, wo ich mich eigentlich als Kind immer mit auseinandergesetzt habe, warum will der mich nicht? Ich hab gedacht, wenn ich dahin fahre und meine Oma besuche, die Mutter von ihm, kann ich Kontakt zu ihm aufnehmen und ihn fragen, weshalb er das alles mit mir gemacht hat. Soweit kam es dann nicht. Ich bin mit meiner Freundin, die Katy, in eine Diskothek gefahren, in die "Esplanade" in Leipzig gegenüber vom Hauptbahnhof, auch sehr bekannt damals zu Ostzeiten. Und habe dort, ich war ja auf Urlaub, quasi mich im Kreise von Ausländern aufgehalten mit meinen deutschen Freundinnen. Ich war also zu Ostzeiten in dieser Diskothek und wir haben dann die Ausländer nach Hause gebracht in ihre Wohnheime. Nicht mehr und nicht weniger, und genau in dieser Situation wurde ich festgenommen mit drei weiteren Mädchen und wurde dann zum nächsten Polizeirevier verbracht. Nach 1989 zeigt Anke Weiler die Verhaftung und Einweisung in eine geschlossene Station der Psychiatrie bei der Staatsanwaltschaft für DDR-Regierungskriminalität an. Sie zitiert aus dem Zeugenprotokoll. "So war es so, dass ich am 11.1.1987 vom Ausländerwohnheim in Leipzig, Barsleyweg, durch die Polizei zugeführt wurde. Dann bin ich mit dem Verdacht auf Geschlechtskrankheiten in das Bezirkskrankenhaus für Psychiatrie Leipzig, Abteilung Venerologie Leipzig, Riebeckstraße 63 eingeliefert worden. Ich bin der Auffassung, dass diese Maßnahme staatliche Willkür war, weil mich meine Mutter und auch mein Vater nicht aufnehmen wollten. Warum ich nicht zu meiner Oma, der Wally Weiler durfte, weiß ich nicht. Ebenfalls kann ich keine Angabe dazu machen, warum ich nicht in mein Internat nach Eisenhüttenstadt durfte, um meine Lehre weiterzumachen. Ich war seit September 1986 Maschinistenlehrling im Eisenhüttenkombinat Ost. Zum Zeitpunkt des Aufgreifens in Leipzig hatte ich Internatsferien. Frage: Nach den eingesehenen Unterlagen, Blatt 17, hatten Sie sexuellen Verkehr mit den ausländischen Personen Wladimir und Manuel seit Ende Dezember 1986. Weiterhin geht aus dieser Aufzeichnung hervor, dass Sie sich seit dem 20.12.1986 im Wohnheim der ausländischen Bürger aufgehalten haben. Diesen Notizzettel haben Sie eigenhändig unterschrieben. Er trägt das Datum vom 11.1.1987. Welche Angaben entsprechen der Wahrheit? Antwort: Ich habe den Zettel eigenhändig unterschrieben. Ich hatte mit diesen beiden Personen auch Kontakt, ich habe aber mit beiden Personen keine sexuellen Beziehungen gehabt. Das wurde damals so aufgeschrieben und ich musste es unterzeichnen, wurde gezwungen dazu. Ich wurde sogar geschlagen dazu, dass ich das unterzeichne." Obwohl sie nicht krank ist, muss Anke Weiler drei Monate auf der venerologischen Station bleiben. Meine Sachen habe ich dann gar nicht mehr gesehen, habe Seife bekommen, Kernseife, musste dann duschen. Und die Abteilung, wo ich war, also ab da war Gummibesteck Tagesablauf. Bestand aus mehreren Zellen, wo angeblich Mädchen drinsaßen, einzeln mit Syphilis, die wir auch nicht anfassen durften. Und unser Aufenthaltsraum war ein Aufenthaltsraum mit einem Holztisch, sechs Stühlen, mehrfach gesichert, Gummibesteck, kein Fernsehen, kein gar nichts. Die Betten waren Gefängnisbetten, Stahlbetten und wir wurden, das war so ein Sicherheitstrakt, eingesperrt hinterher, verschlossen, zentralverriegelt mit einer Stahltür, einer Gefängnistür, Stahltür. Was man jetzt so sieht, so Alcatraz-mäßig, ganz schlimm, das war furchtbar. Untersucht hat mich zum Anfang ein Arzt, danach mussten wir uns selber untersuchen, gynäkologisch selber untersuchen die Mädchen. Wir haben dann Handschuhe bekommen und mussten die Glasröhrchen uns gegenseitig in die Vagina einschieben, mussten selber Abstriche vornehmen, die dann per Mikroskop auswerten. Mussten die Handschuhe selber desinfizieren und selber pudern und arbeiten. Gearbeitet haben wir in dem Krankenhaus, wir waren auf der mittleren Station, bei den geistig Schwerbehinderten. Also ich kann auch heute nicht nachvollziehen, was das überhaupt für eine Station war. Sowas habe ich in meinem Leben noch nicht gesehen, das waren geistig Schwerbehinderte, die konnten nicht mehr sprechen, die waren meines Erachtens nur weggesperrt, das war dann nur noch …. Rauchen durften wir auf der Toilette bei den Herren. Wir mussten geistig Schwerbehinderte duschen, mussten Erbrochenes wegmachen. Besuch haben die gar nicht bekommen. Und wir mussten dort arbeiten den ganzen Tag, bis wir dann wieder auf unsere Station gebracht wurden mit unseren weißen Kitteln. Von der Psychiatrie wurde ich abgeholt von der Polizei mit Handschellen und bin in ein Durchgangsheim nach Dresden gekommen. Kann mich nicht mehr an den Namen erinnern. Da war denn das gleiche Spiel, da waren natürlich keine psychisch Kranken mehr. Aber da waren trotzdem Stahltüren und die Schließerinnen, die uns weggeschlossen haben. Ich wusste weder, aus welchem Grund ich da hingekommen bin und nicht auf dem direkten Weg nach Berlin zu meiner Mutter. Ich wusste nicht, was ich da mache, wie lange ich da bleibe, wusste gar nichts. Ich wusste nur, ich schlafe da wieder in einem Trakt, wir wurden eingesperrt mit vier, fünf Mädchen in einer Zelle. Es wurde abgesperrt, wir wurden eingeschlossen hinter Panzerglas und Panzertüren abends. Man konnte nicht einmal auf Toilette gehen, und tagsüber haben wir Kulis zusammengeschraubt. Wir mussten arbeiten. Von Dresden aus kommt Anke Weiler für einige Wochen ins Durchgangsheim in Berlin-Alt Stralau und von dort in den Jugendwerkhof Burg. Jugendwerkhof ist Jugendwerkhof. Und wenn man im Jugendwerkhof ist, dann ist es eben so, dass man Freigängertage hat. Das waren im Monat zwei. Wenn man aber neu reinkommt, darf man ein halbes Jahr bis ein dreiviertel Jahr gar nicht raus. Und ich glaube nicht, dass ein Jugendwerkhof als offen beschrieben werden kann, weil, wenn man einen Hof quasi wie heute im Gefängnis, es gibt ja heute auch viele Gefängnisse, sowas war damals, glaube ich, zu DDR-Zeiten nicht möglich. Wir durften halt raus, aber das war eben auch nur ein kleiner Raucherplatz, eine Raucherinsel, die wir hatten und ansonsten waren wir eingesperrt, umzäunt. Also wir hätten gar nicht die Möglichkeit gehabt, irgendwo auszubrechen oder Ähnliches. Die Staatsanwaltschaft stellt Anke Weilers Verfahren wegen Körperverletzung durch den DDR-Staat im April 2000 ein. "Auch die von der Geschädigten geschilderten Reinigungs- und Pflegearbeiten sowie die gynäkologischen Untersuchungen, die sie während ihres Aufenthalts in der geschlossenen Abteilung des ehemaligen Bezirkskrankenhauses in Leipzig vornehmen musste, stellen keine Körperverletzung dar gemäß § 115 Absatz 1 StGB-DDR." Es war aber schon West-Gesetz 2000. "Das Verfahren war mithin gemäß § 170 StGB-DDR einzustellen. gezeichnet Lamarka, Staatsanwältin."

Ich wusste weder, aus welchem Grund ich da jetzt hingekommen bin, ich wusste nicht, was ich da mache, wie lange ich da bleibe, wusste gar nichts, nein.

Biografie

Anke Weiler, geboren 1970, wächst meist bei den Großeltern auf. „Zum Glück“, wie sie sagt, denn der Vater, ein Offizier, ist extrem gewalttätig. Während der Lehre in Eisenhüttenstadt wohnt sie im Internat. Mit Freundinnen fährt sie nach Leipzig in eine damals beliebte Diskothek. Irgendwem fällt auf, dass die Mädchen dort Ausländer kennenlernen. Noch in der gleichen Nacht werden sie von Volkspolizisten festgenommen und wegen des Verdachts auf Geschlechtskrankheiten zwangsweise in das Bezirkskrankenhaus für Psychiatrie, Abteilung Venerologie

Geschlossene venerologische Stationen waren in der DDR spezielle Krankenhausabteilungen für Geschlechtskrankheiten, in denen nur Mädchen und Frauen behandelt wurden. Die Einweisungen erfolgten oftmals ohne medizinischen Grund und gegen den Willen der Betroffenen. Die medizinischen Maßnahmen wie tägliche gynäkologische Untersuchungen, Zwangsmedikamentierung und Arbeitszwang sollten Mädchen und Frauen disziplinieren, die durch unangepasstes Verhalten aufgefallen waren.

, gebracht. Weder darf sie nach Eisenhüttenstadt ins Internat zurück, noch nach Hause zu ihrer Oma. Nach einer Vernehmung, bei der sie auch geschlagen wird, unterschreibt sie hilflos ein Protokoll mit der Aussage, sie habe „sexuellen Kontakt mit ausländischen Personen“ gehabt, obwohl dies nicht zutrifft.

Die „geschlossene venerologische Station“ funktioniert wie ein Gefängnis. Entwürdigende Untersuchungen und Zwangsarbeit

Deutsche Kriegsgefangene und Zivilisten wurden seit 1945 von den Alliierten im Rahmen von  Reparationsleistungen für Kriegsschäden zur Zwangsarbeit verpflichtet. Durch die sowjetische Besatzungsmacht wurden von 1945 bis 1955 wegen angeblicher politischer Vergehen Zehntausende Zivilsten aus der SBZ/DDR verurteilt und ca. 20.000 bis 25.000 von ihnen zur Zwangsarbeit in die Sowjetunion gebracht.  

bestimmen hier ihren Alltag. Die 16-Jährige muss tagsüber als Putzfrau und Hilfspflegerin in der geschlossenen Psychiatrie arbeiten. Nach drei Monaten wird Anke von der Polizei in Handschellen aus der Klinik abgeholt, kommt erst in ein Durchgangsheim und dann in den Jugendwerkhof

Jugendwerkhöfe waren Spezialheime der DDR-Jugendhilfe für Jugendliche im Alter zwischen 14 und 18 Jahren, die als schwererziehbar galten. Sie sollten durch Arbeits- und Kollektiverziehung sowie ideologische Beeinflussung zu sogenannten sozialistischen Persönlichkeiten umerzogen werden.

nach Burg. Wieder ein Ort, der sich wie ein Gefängnis anfühlt, wieder wird sie zu harter Arbeit gezwungen.

Nach 1989 zeigt Anke Weiler diejenigen, die für ihre Zwangseinweisung verantwortlich waren, bei der Zentralen Ermittlungsstelle für Regierungs- und Vereinigungskriminalität (ZERV) an. Das Verfahren wird im Jahr 2000 erfolglos eingestellt.