Roland Herrmann

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Ich bin am 11. Mai 1965 geboren in Bad Saarow. Bin denn ganz normal als ganz normales Kind groß geworden. Vater war Berufskraftfahrer. Meine Mutter war Telefonistin. Bin auch mit westlicher Einstellung groß geworden, da bei uns der Schwarz-Weiß-Fernseher ständig auf Westprogramm lief. Meine Mutter hat sich dann scheiden lassen von meinem Vater. Und meine Mutter hat denn nichts Besseres zu tun, als den Wolfgang Schneider zu heiraten. Der war Direktor für Kader und Bildung von VEB Statron. Nach unseren Recherchen, er hatte fünf Jahre lang in Moskau studiert, war Mitglied vom ZK, war Kreisparteischulleiter, somit auch Waffenträger. Da ich mit meiner westlichen Einstellung, habe ich das nicht verstanden, noch Ostfernsehen zu gucken, ist das problematisch geworden. Im Prinzip hat es sich zugespitzt vom 13. zum 14. Lebensjahr hin. Wo man so in die Pubertät kommt und wenn das so richtig losgeht. Ja, daraufhin habe ich denn die Schule geschwänzt. Und zuhause lief das gar nicht. Mein Vater, mein leiblicher Vater musste arbeitsbedingt in der Nähe von unserer Wohnung vorbeilaufen. Wenn ich ihm "Guten Tag" gesagt hab, wenn ich mit ihm geredet hab und das jemand mitgekriegt hat, habe ich oben Dresche und Stubenarrest gekriegt. Also, zuhause ging es gar nicht mehr. Meine Mutter ist sowieso laut Akten und alles andauernd zur Polizei gerannt, zur Jugendhilfe und, und, und, und. Und wollte mich weg haben. Habe ich alles schriftlich hier. Jedenfalls, ich war selber einverstanden mit der Jugendhilfe. Weil die Jugendhilfe hatte versprochen, ich komme in ein anständiges, ehrwürdiges Heim, wo man ganz normal zur Schule geht und alles ganz normal ist, alles hübsch ist. Ganz normales Kinderheim. Und damit war ich einverstanden, ich wollte einfach nicht mehr zuhause diesen Stress und das alles, das ging gar nicht. So, diese Frau Lüth von der Jugendhilfe, so hieß sie, glaube ich, die hat gesagt, ich krieg da im Kinderheim alles neu. Und ich dachte: Naja, ich krieg alles neu, naja, gut, ich kannte mich ja mit den Gesetzen in der DDR aus oder wusste nix von Kinderheim großartig oder so. Wusste ja nix. Na, jedenfalls mit der Jugendhilfe da rein ins Auto, in den PKW. Ja, dann haben sie mich nach Bad Freienwalde gebracht. Ich bin ausgestiegen, ich hab geguckt, ich war richtig starr vor Schreck. Der Fahrer drückte noch seine Hand bei mir in die Schulter so rein und dann haben sie mich da reingeführt. Denn musste ich all meine Sachen abgeben. Duschen. Die ganze Zeit stand ich dort unter Beobachtung. Dann habe ich diese Einteilung bekommen, Anstaltskleidung, die Sachen, das waren ganz normale - möchte ich sagen - Kindersachen. Ich nehme an, gespendete oder ausrangierte von anderen Kinderheimen. Also, die haben ausgesehen wie die Lumpen. Da wurde einfach gesagt: Passt! Passt! Passt! Wurde mir das entgegengeworfen. Dann hoch auf die Jungsstation. Alles war vergittert. Ja, denn ging die Tür auf. Die wurde aufgeschlossen. Erst das Schloss, dann Riegel oben, Riegel unten. Dann kriegte ich einen Schubs und dann war ich drin in dieser Zelle. Nun machte es Klack, Klack, Klack, Tür zu. Ja, denn war ich fertig mit der Welt. Von den anderen habe ich dann erfahren, dass man erstmal drei Tage drin bleibt. Man hatte auch Kontaktsperre. Man erfuhr gar nix von draußen. Man erfuhr auch nicht, wie lange bleibt man dort? Wo kommt man danach hin? Was passiert einem? Ja, vormittags war immer Schule sozusagen. Deutsch, Mathematik und Erdkunde, und so politisch wollten sie da auch, sind sie nicht richtig durchgekommen. Schule war vormittags und nachmittags meistens dort diese Lampen, Buchsen, Schrauben. Und wenn man seine Normen nicht geschafft hat, denn hat man Bau gekriegt. Bei mir ist es sogar schon passiert, mir haben sie die Kisten reingestellt im Arrest sozusagen, ja, kommst du erst raus, wenn du das fertig hast. Also, kam dort immer auf die Erzieher drauf an. Zum Beispiel, wenn man mit irgendeinem Jugendlichen bisschen Streit hatte oder was, der Aufseher kommt dazu - dann hat er uns am Schlafittchen gepackt, ab, rein in die Zelle. Das ging schneller, wie man geguckt hat. Nach Lust und Laune von dem Aufsichtspersonal. Dritte Etage, was voneinander im Treppenaufgang durch Extragitter getrennt war. War da ein Tagesraum, denn fünf oder sechs Zellen aneinander. Die Zellenmauern waren hier über einem halben Meter dicke, 60 Zentimeter. Das war noch richtig von früher aus Kaisers Zeiten gebaut. Ganz hinten am Gang war eine Toilette gewesen. Die war nur durch eine Seitensichtblende abgeteilt. Die hatte noch nicht mal eine Tür gehabt. Im Prinzip, man hatte keinen Außenkontakt. Man wurde gefangen gehalten wie ein Stücke Vieh und war den Launen der Aufseher ausgesetzt. Wir hatten Sport bis zum Zusammenbruch. Und wenn man nicht gekonnt hat, dann hat man noch das große Schlüsselbund ins Kreuze gekriegt. Fußtritt und alles. Also, im Prinzip, wir wurden da drin gequält richtig. So wie in Torgau.

Alles war vergittert. Ja, dann ging die Tür auf. Die wurde aufgeschlossen. Erst das Schloss, dann Riegel oben, Riegel unten. Dann kriegte ich einen Schubs und dann war ich drin in dieser Zelle. Nun machte es Klack, Klack, Klack, Tür zu. Ja, dann war ich fertig mit der Welt.

Biografie

Nach dem Jugendwerkhof

Roland Herrmann, geboren 1965, wächst so auf, wie viele Altersgenossen im Berliner Umland. Man sucht sich in der streng reglementierten DDR

Die Deutsche Demokratische Republik wurde am 7. Oktober 1949 auf dem Gebiet der Sowjetischen Besatzungszone gegründet. Sie hatte den Charakter einer kommunistischen Diktatur nach sowjetischem Vorbild.

seine Freiräume und medial, also mit Radio und Fernsehen, sind die meisten Heranwachsenden ohnehin fast nur im Westen

In der DDR umgangssprachliche Bezeichnung für die Bundesrepublik Deutschland und West-Berlin.

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Für Roland ändert sich das, als sich die Eltern scheiden lassen und die Mutter erneut heiratet. Sein Stiefvater ist SED

Die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) entstand 1946 in der Sowjetischen Besatzungszone durch Zwangsvereinigung der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) und der Sozialdemokratischen Partei (SPD). Die SED war eine marxistisch-leninistische Staatspartei, die ihren allumfassenden Machtanspruch umsetzte, indem ihre Funktionäre alle wichtigen Bereiche der Gesellschaft besetzten.

-Funktionär. Plötzlich soll er zu Hause nur noch Ostfernsehen schauen. Der Kontakt zum leiblichen Vater wird streng verboten. Spricht er dennoch mit ihm, gibt es Prügel und Stubenarrest. Mit 14 lehnt er sich gegen all das auf, schwänzt den Unterricht und verweigert den Gehorsam.

Die Mutter wendet sich an die Jugendhilfe, will erreichen, dass der Junge ins Heim kommt. Roland ist sogar einverstanden, denn ihm wird ein normales Kinderheim und Unterricht an einer normalen Schule versprochen. Doch dann kommt er für über ein halbes Jahr ins Durchgangsheim in Bad Freienwalde

Das Durchgangsheim in Bad Freienwalde (1968-1987) war ein geschlossenes Jugendhilfeheim der DDR, in dem Kinder und Jugendliche bis zur späteren Verteilung auf andere Heime untergebracht waren. Das Gebäude war zuvor ein Gefängnis. Fenster und Flure waren vergittert. Es lag hinter Mauern und Stacheldraht.  Zum Alltag gehörten Isolationsarrest, Essensentzug, Drill und erzwungene Arbeit.

. Er muss alle Privatsachen abgeben, Anstaltskleidung anziehen, die Fenster sind vergittert, er wird in eine Zelle eingeschlossen und erst einmal vollkommen isoliert.

Später hat er vormittags einige dürftige Stunden Schulunterricht, nachmittags müssen die Kinder arbeiten. Sie montieren Lampen. Wer die Norm nicht schafft, kommt zur Strafe in die Arrestzelle. Auch Sport bis zum körperlichen Zusammenbruch gehört zum Alltag in Bad Freienwalde

Das Durchgangsheim in Bad Freienwalde (1968-1987) war ein geschlossenes Jugendhilfeheim der DDR, in dem Kinder und Jugendliche bis zur späteren Verteilung auf andere Heime untergebracht waren. Das Gebäude war zuvor ein Gefängnis. Fenster und Flure waren vergittert. Es lag hinter Mauern und Stacheldraht.  Zum Alltag gehörten Isolationsarrest, Essensentzug, Drill und erzwungene Arbeit.

. Die jungen Menschen sollen mit Druck, Demütigungen und Gewalt dazu gebracht werden, sich unterzuordnen und anzupassen. Roland Herrmann hat heute noch gesundheitliche Probleme, die aus dieser Behandlung resultieren.