Roland Steinbach

Klicken Sie auf das Bild, um das Interview abzuspielen.

Mein Name ist Roland Steinbach. Ich wurde geboren am 17. Mai 1928 in Mohsdorf bei Burgstädt. Leider bin ich in eine Zeit hineingeboren, die nun von diesem Nationalsozialismus geprägt war. Ich bin 1934 in die Schule gekommen, und da weiß jeder, dass da diese braune Gesellschaft schon schwer im Gange war und doch uns als Kinder auch stark beeinflusst hat. Und wenn man in dieser Zeit acht Jahre zur Volksschule geht, dann kann sich nur der, der in etwa das Gleiche erlebt hat, vorstellen, wie wir geprägt und verbogen wurden. Leider. Ich habe dann nach meiner Schulzeit eine Lehre begonnen, und zwar als Werkzeugmacher in der Firma Großer, in Markersdorf/Chemnitztal. Die habe ich abgeschlossen 1944 im Sommer/Herbst. Kurz vor Kriegsende wird Roland Steinbach noch einberufen. Bis Juli 1945 ist er in amerikanischer Kriegsgefangenschaft und wird dann entlassen. Inzwischen war der Wechsell gewesen, also die Amerikaner hatten sich zurückgezogen und die Rote Armee hatte das Gebiet besetzt, so wie es ausgemacht war. Ich musste mich erst noch ein bisschen bei meiner Mutter anfüttern lassen, um zu Kräften zu kommen, um mich dann um Arbeit zu bemühen. Ich habe dann auch Arbeit gefunden, und zwar bei meinem Betrieb, den ich schon damals kannte, als Chefkonstrukteur, der Schreibmaschinen konstruiert hatte. Ich wurde aber am 26. Oktober verhaftet. Ich kam nach Hause von der Arbeit, an einem Freitagabend, und da kam ein deutscher Polizist und hat mich aufgefordert, mit nach Burgstädt aufs Polizeiamt zu gehen. Er kam mit einem Motorrad, hat mich also auf dem Motorrad mitgenommen und dort abgeliefert. In Burgstädt war ich zwei Tage im Polizeigewahrsam und am 28., am Sonntag, wurden wir dann nach Rochlitz aufs Schloss gebracht. Das war die Außenstelle vom NKWD. Und warum und weshalb hat uns bis dahin niemand gesagt. Unterwegs ging das Auto noch kaputt, was uns nach Rochlitz gebracht hat. Und da haben wir treu und brav uns dahin gesetzt an den Straßengraben und gewartet, bis das nächste Ersatzfahrzeug kam. Wir hätten ebenso gut ausreißen können - es war gar niemand da, der uns irgendwie daran gehindert hätte. Aber wir haben niemandem was getan. Wir haben uns gesagt: Was soll uns schon passieren? Das wird eine Vernehmung werden und dann ist gut. Anfang November begannen die Vernehmungen. Das erste, was mich der Offizier gefragt hat, nachdem ich meinen Namen gesagt habe und wo ich herkomme, dass ich in amerikanischer Gefangenschaft war und so weiter, das erste, was er gefragt hat: "Wenn du in amerikanischer Gefangenschaft warst, da warst du doch im Westen! Warum bist du dann hierher gekommen?" Und da habe ich gesagt: "Weil meine Eltern hier wohnen, weil ich eine Freundin hier habe und weil ich niemandem etwas zuleide gefügt hab." Also niemandem etwas getan hab. Warum soll ich dann nicht nach Hause kommen? Und da hat er mir geantwortet: "Nein, du bist nur gekommen, um der Roten Armee Schaden zuzufügen!" Und von dem Moment an wusste ich natürlich, was auf mich zukommt. Und dann ging das los in den Vernehmungen: Werwolf, Werwolf, Werwolf. Wir waren alle Werwolf, wir waren zu einer Volkssturmausbildung in Hartmannsdorf, in einem Lager, immer im Monat vier Tage etwa, und dieses Lager oder diese Schule, wie man es auch immer nennt, wurde als Werwolf-Schule betrachtet von den Sowjets. Jeder, der dort war, war Werwolf, obwohl das überhaupt nicht den Tatsachen entsprach. Aber die hatten sich´s mal so eingebildet und denen war das schlecht ausredbar. Und sie haben uns praktisch so behandelt, ich möchte es von mir aus als meine schlimmste Zeit des Lebens betrachten. Wir wurden geschlagen. Wir eigentlich durch die Bank weg alle, der eine mehr, der andere weniger. Also, ich muss ehrlich gestehen, ich habe nicht gedacht, dass ich das lebend überstehe. Nun hat man was unterschrieben, um nicht ganz totgeschlagen zu werden, aber was man unterschrieben hat, weiß man nicht. Weiß ich bis heute nicht. Und dann ging´s ab, der Transport auf einem LKW nach Mühlberg, aber wir wussten ja nicht, wohin, es hieß: Es geht in ein Lager in der Nähe von Riesa. Und da kam der LKW, aufsitzen, und da wurden wir dahingefahren. Wir wurden auf eine Baracke aufgeteilt. Alle, die von Rochlitz waren - eine Frau war dabei, die kam natürlich in ein Frauenlager, was in Mühlberg auch war -, und sonst hatten wir praktisch unser Ziel erst mal erreicht. Wir waren natürlich froh, den Schlägen nicht mehr ausgesetzt zu werden. Und - dass wir uns dort relativ frei bewegen konnten. Ende des Jahres ´46 sprach sich schnell im Lager rum: Es kommt eine Kommission, es soll wieder ein Transport in die Sowjetunion zusammengestellt werden. Der Transport wurde zusammengestellt. Es gab Wehrmachtskleidung, es gab einmal Bettwäsche oder sogar zweimal, kann ich heut schon gar nicht mehr sagen, es gab also Winterstiefel, die Wehrmachtswinterstiefel der deutschen Wehrmacht, die allerdings für Sibirien untauglich sind, weil die so einen Lederschaft hatten unten. Und es gab eine Pelzmütze. Und deshalb entstand unter uns allen und unter denen, die zurückblieben auch der Begriff, die Namensgebung, "der Pelzmützentransport", so nannte sich unser Transport. Wir sind dann abtransportiert wordenn am 8. Februar 1947, durchs Lagertor raus, zu Fuß auf den Bahnhof nach Neuburgsdorf. Dort waren Güterwagen bereitgestellt, so wie das üblich ist bei solchen Transporten. Manche können das jetzt in schlechtesten Farben schildern, diese 33-tägige Fahrt nach Sibirien. Das ist leider mein persönlicher Nachteil: Ich versuche immer, allen Dingen noch was Gutes abzugewinnen. Nach drei Wochen Quarantäne, mindestens waren es drei Wochen - da mussten wir natürlich viel Schnee schippen und Ähnliches machen -, wurden wir dann zur Arbeit geleitet. Und da ging´s also in den Schacht. Und zwar hieß der Schacht "9/15" und der Ort, den habe ich wohl überhaupt noch nicht erwähnt, wo wir waren, der hieß "Anschero-Sudschensk". Waren zu der Zeit etwa siebzig- bis achtzigtausend Einwohner, und eben eine Stadt an der Transsibirischen Eisenbahn gelegen. Nach acht Monaten wird Roland Steinbach in ein sowjetisches Kriegsgefangenenlager nach Westsibirien transportiert. Dort muss er in einem Sägewerk arbeiten. Im Frühjahr 1950 ging´s nach Hause. So, und da sind wir - ich will das ganz kurz machen -, zusammengestellt worden in dem Lager und gingen auf Transport. Keine Posten mehr mit, alles frei, wunderhübsch und wunderschön.. Und sind gefahren, und natürlich in viel kürzerer Zeit, bis Brest/Litowsk, bis an die Grenze ran. Dort hatte die schon bestehende DDR nicht genug Waggons bereitgestellt für die Spur, muss ja die andere in die Spur, mussten wir umsteigen, sodass nur ein Teil, der vordere Teil, vielleicht vierhundert Personen sofort umsteigen konnten und nach Hause fuhren. Und der andere, der Rest musste dort in Brest/Litowsk ins Lager und wurde dann nach russischem Alphabet nach und nach aufgerufen und zu den anderen Transporten, die noch aus dem Teil der Sowjetunion kamen, immer zugeladen. Und so leerte sich unser Lager in Brest/Litowsk dann nach und nach. Und elf Mann vor mir war Schluss nach russischem Alphabet. Wir heißen "Steinbach", das ist nun wahrscheinlich ganz hinten nach russischem Alphabet. Alle, die heute noch leben oder kürzlich erst gestorben sind, die heißen fast alle ähnlich, also immer mit "St", und dann noch "L", "L" war auch noch auf einer anderen Liste. Und da blieben am Ende zweihundert Mann übrig. Nun stehen Sie da mit Ihren Kenntnissen! Es ging einfach so weiter, dass wir den übernächsten Tag zur Arbeit mussten in Minsk. Und so wurde dort eine Kugellagerfabrik gebaut. Und die mussten wir errichten, also hatten sie uns schon ganz fest eingeplant. Das haben wir auch gemacht und sind dort jeden Tag zum Arbeiten gegangen. Am Anfang haben wir mal ein, zwei Tage einen Hungerstreik gemacht und haben gedacht: Wir könnten was ausrichten. Da können sie nichts ausrichten. Wenn der Hunger dann so stark ist, dass die ersten doch essen, dann war es alles für die Katz. Bis zu seiner Entlassung im Mai 1952 muss Roland Steinbach in den Arbeitslagern in Minsk, Stalino (heute Donezk) und Kiew arbeiten. Nach unserer Heimkehr 1952 haben wir sofort begonnen, fünf ehemalige Freundee sich jedes Jahr einmal zu treffen, um erstens Mal unseren zweiten Geburtstag der Wiederkehr praktisch zu feiern und aber auch der ganzen Sache zu gedenken. Und weil wir uns in den letzten beiden Jahren der Gefangenschaft vor allen Dingen so gut verstanden haben, haben wir uns diesen Wimpel zugelegt. Und der Wimpel, der besagt eigentlich nichts weiter als wie unsere Stellen, wo wir gewesen sind, und zwar: Das geht hier los, diese Mühle, die besagt: Mühlberg, Aufenthalt in Mühlberg. Dieser Förderturm: Unsere Arbeitsstelle in Sibirien im Kohlebergbau. Der Stapel Holz besagt: Arbeit auf dem Sägewerk in Sibirien. Und die Steinmauer, die Ziegelsteinmauer, die besagt: Die letzte Zeit, wo wir in der Hauptsache als Maurer tätig waren. Ich dreh den nochmal rum, ich hab ja unten alle, jedes Jahr dokumentiert, wenn wir uns getroffen haben. Und hier hinten - ich weiß nicht, ob Sie es lesen können? Können Sie das lesen oder soll ich es da auch umstecken? Das kann man so lesen?

Ich möchte es von mir aus als meine schlimmste Zeit des Lebens betrachten. Wir wurden geschlagen. Ich muss ehrlich gestehen, ich habe nicht gedacht, dass ich das lebend überstehe.

Biografie

Roland Steinbach, Jahrgang 1928, kehrt im Sommer 1945 aus amerikanischer Kriegsgefangenschaft in seine sächsische Heimat zurück. Ein Vierteljahr später wird er verhaftet und an die sowjetische Geheimpolizei nach Rochlitz

Schloss Rochlitz diente von 1945 bis 1947 einer Operativgruppe der sowjetischen Geheimpolizei als Haftanstalt. Über 600 inhaftierte Frauen, Männer und Jugendliche wurden hier vom Sowjetischen Militärtribunal verurteilt, in Straflager eingewiesen oder ins Lagersystem der Sowjetunion deportiert. 

überstellt. Für Roland beginnt die schlimmste Zeit seines Lebens. Er wird immer wieder brutal geschlagen und unterschreibt am Ende jedes Protokoll. Anschließend kommt er ins Lager Mühlberg und ist froh, nicht mehr den Schlägen der NKWD

Das Volkskommissariat für Innere Angelegenheiten (NKWD) war die geheime Sicherheitspolizei der Sowjetunion. Es verfolgte Regimegegner im In- und Ausland. Ihm unterstanden das Gulag-System und die ab 1945 eingerichteten Speziallager. Das NKWD war in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) und DDR für Terror, Verschleppung, Folter, Internierung und Mord verantwortlich.

-Vernehmer ausgeliefert zu sein.

Ende 1946 sucht eine sowjetische Kommission nach arbeitsfähigen Häftlingen für Arbeitslager in der Sowjetunion

Die Sowjetunion war ein kommunistischer Einparteienstaat. Sie wurde 1922 durch Zusammenschluss der Russischen Republik und der umliegenden Staaten gegründet und 1991 aufgelöst. Die Russische Sowjetrepublik als Kernstaat der Sowjetunion entstand nach der sozialistischen Oktoberrevolution im Jahr 1917. 

und Roland findet sich in einem Transport nach Sibirien

Gulag ist eine Abkürzung, die übersetzt „Hauptverwaltung der Besserungsarbeitslager und –kolonien“ bedeutet. Gulag bezeichnet das umfassende System von Straf- und Arbeitslagern in der Sowjetunion. Seinen Höhepunkt erlebte das Gulag-System unter der Herrschaft Stalins mit mehr als 200 Lagern, in denen ca. 20 Millionen Menschen vor allem in Sibirien inhaftiert waren, darunter nach 1945 Zehntausende deutsche Kriegsgefangene und Zivilisten. 

wieder. Dort arbeitet er im Bergwerk und auf dem Bau. Im Frühjahr 1950 soll es nach Hause gehen, doch in Brest hat der Zug für den Weitertransport in die DDR

Die Deutsche Demokratische Republik wurde am 7. Oktober 1949 auf dem Gebiet der Sowjetischen Besatzungszone gegründet. Sie hatte den Charakter einer kommunistischen Diktatur nach sowjetischem Vorbild.

nicht genug Wagen. Mit den nächsten Transporten soll es weitergehen, doch kurz bevor Steinbach dran ist, werden die Entlassungen aus Brest plötzlich eingestellt und die verbliebenen deutschen Häftlinge kommen auf eine Baustelle nach Minsk, später nach Stalino (Donezk) und Kiew.

Mit einem Hungerstreik versuchen sie, ihre Entlassung zu erreichen – vergeblich. Erst 1952 fahren sie wirklich nach Deutschland zurück.

Seitdem pflegt Steinbach mit fünf Freunden aus der Lagerzeit eine enge Freundschaft. Sie treffen sich seither jährlich, feiern ihr Überleben und gedenken der Lagertoten. Zu DDR

Die Deutsche Demokratische Republik wurde am 7. Oktober 1949 auf dem Gebiet der Sowjetischen Besatzungszone gegründet. Sie hatte den Charakter einer kommunistischen Diktatur nach sowjetischem Vorbild.

-Zeiten mussten sie dies heimlich tun.