Werner Kubina

Klicken Sie auf das Bild, um das Interview abzuspielen.

Mein erstes politisches Ereignis ist mir im Kopf, dass ich am Tag nach dem Synagogenbrand hier in Brandenburg mit meiner Mutter dort auf dem Platz war und dies gesehen habe. Ich war vier Jahre alt, aber das war mir so beeindruckend, dass ich immer noch wieder daran denken muss. Und mein weiterer Werdegang war dann eben, dass ich 1949 hier konfirmiert wurde in der St.-Gotthard-Gemeinde und da ging es denn weiter mit meiner Gliedschaft in der Kirchengemeinde. Na, wenn Sie ´46 anschneiden, ja eigentlich noch nicht, denn das FDJ-Parlament, das erste, tagte ja hier in Brandenburg/Havel. Und da waren ja zu den damaligen Zeiten noch Vertreter der Kirche und der evangelischen Jugendarbeit und katholischen Jugendarbeit dabei. Und das hat sich erst nachher herausgebildet, wenn man bedenkt, dass das Parlament hier zeitgleich zwei Gottesdienste durchführte für die evangelischen Mitglieder des Parlaments und für die katholischen, dann ist das ja schon ein Zeichen dafür, dass alle glaubten, FDJ und Kirche muss kein Gegensatz sein. Und angefangen hat das mit Problemen mit Staat und Kirche eigentlich erst, also nach meinem Dafürhalten, 1951, dann mehr ´52 und ganz besonders ´53. Am 31. März, das weiß ich von meiner Frau und anderen Schülern der Oberschule, meine Frau hatte einen Schulausflug, drei Kilometer von der Schule entfernt. Kam ein Bote, der sie zurückbeorderte in die Schule. Und da gab es eine FDJ-Versammlung. Die Glieder der Jungen Gemeinde, die sich weiterhin zur Jungen Gemeinde bekannten, wurden aus der FDJ ausgeschlossen. Meine Frau war nicht böse darüber, nun gehörte sie nicht mehr zur FDJ, aber am Ende der Versammlung hieß es dann, dass sie von der Schule verwiesen sind, und das war tragisch für sie. Und nur ein einziger Lehrer hat sich offen auf die Seite der Schüler gestellt. Der ist dann später allerdings auch in den Westen gegangen. Und ein Lehrer hat gesagt: Junge Gemeinde ist Abschaum der Menschheit. Und diesen Lehrer, den haben wir unser Leben lang, solange er hier lebte, immer noch in Brandenburg gesehen und mussten an diesen Ausspruch denken. Meine Frau ging dann zum Jugendpfarrer nach Katharinen, Pfarrer Marienfeld, und da stellte sie fest, dass sie nicht die einzige ist, es sind auch andere da gewesen, die an diesem Tag der Schule verwiesen wurden, und das waren in Brandenburg weit über 70. 17. Juni 1953 Ich hab Erinnerung, und meine Frau ist nachträglich froh, dass ich krank war an dem Tag, und so krank, dass ich im Bett liegen musste. Aber ich hab trotzdem was mitbekommen, denn wir wohnten auf dem Molkenmarkt hier in der Brandenburger Neustadt, und am 17. Juni war die Steinstraße ein Treffpunkt für die Demonstrierenden, weil da das Kreisgericht war. Da hatte man denn versucht, Inhaftierte rauszuholen. Weiß nicht, ob man da welche rausgekriegt hat, könnte sein, aber das müssten Historiker wissen. Und in derselben Straße war das Jugendclubhaus von der FDJ. Und da war Pfarrer Marienfeld, der Kreisjugendpfarrer von Brandenburg, ein Hauptakteur, der daran beteiligt war an diesen Demonstrationen dort. Und was ich persönlich mitgekriegt habe, ist, wie dieser Demonstrationszug denn auf den Neustädtischen Markt kam, auf den Wolkenmarkt kam. Neustadtmarkt und Wolkenmarkt ist so quasi eine Einheit, ja. Und da habe ich gesehen, wie die Massen jemanden auf das Podest geschleppt haben, wurde auch geschlagen, das war also einer vom Kreisgericht. Das waren meine persönlichen Eindrücke. Also, in Brandenburg war es schon heftig, die SED-Kreisleitung, die wurde geplündert, Akten wurden aus dem Fenster geworfen in die, in den Havel-Kanal rein, also Brandenburg war schon ein Aufstandsort, der hier nicht zu unterschätzen war. Auch für die Partei gerade. Ich war sehr aufgeregt und hab gedacht: Au, jetzt passiert was in der DDR. Denn das war ja eben die Zeit, nachdem die Junge Gemeinde so bekämpft wurde. Zwar war am 11. Juni dieser neue Kurs bekannt gegeben worden, aber wer glaubte dem noch, dass das wirklich für uns besser wird? Und dann dieser 17. Juni, also wir haben schon gedacht, oder, ich will nicht für andere mitsprechen, ich hab schon gedacht, dass hier was Entscheidendes sich ändern wird. Aber am nächsten Tag wussten wir ja, es ist nichts daraus geworden. Der ganze Aufstand ist zusammengebrochen. Wir dachten alle, er wäre kurzfristig in den Westen gegangen. Das war unsere Überzeugung. Man hatte nichts anderes gehört, Pfarrer Marienfeld gab es nicht mehr. Bis wir ein paar Wochen später erfuhren, dass Präses Scharf ihn aus seinem Versteck hier in Brandenburg in der Katharinenkirche geholt hat und mit seinem Auto über die Glienicker Brücke nach West-Berlin geschafft hat. Danach haben wir erfahren, dass er etliche Wochen seit dem 17. Juni im Keller der Katharinenkirche sich verborgen hielt, bis Präses Scharf damals sagte: Ich hole ihn, und wenn sie uns auf der Glienicker Brücke anhalten würden, dann würde er durchfahren und nicht anhalten. Das war der Kenntnisstand damals. Und denn gab es die Brandenburger Zeitung, die darüber berichtet, dass Pfarrer Marienfeld ein Rädelsführer am 17. Juni hier in Brandenburg war. Und danach, das muss man dazu sagen, kam ja das Jahr 1954, der Beginn der Jugendweihe-Aktion. Das war der nächste Einschnitt für die Kirche. Die Kirche hat damals gesagt: Jugendweihe oder Konfirmation. Und dem Staat war es wohl mehr oder weniger egal, Hauptsache, die Jugendlichen gingen zur Jugendweihe. Und da wurde denn auch die Gruppe der Konfirmanden bedeutend kleiner und das war so ein Abschnitt für die kirchliche Jugendarbeit, dass es also doch zahlenmässig sehr abwärts ging. Ich selber hatte Glück, hab eine Privatfirma gehabt, wo ich beschäftigt war. Da konnte ich meine Probleme offen aussprechen. Und unsere Jugendstunde, da kann ich mich noch erinnern, dass wir bis in die Jugendstunden hinein von Gruppen verfolgt wurden, die an der Tür des Jugendzimmers standen und lauschten. Und als wir rausgingen, sind sie in kurzen Abständen hinter uns hergelaufen, in provokatorischer Absicht, muss man sagen. Aber wir wurden nicht angegriffen, aber es war schon heftig und jeder hat da seine eigenen Erfahrungen gemacht. Angst hatten wir ganz sicher. Ich selber habe immer gesagt, weil ja eben so viele gingen, ja, viele unserer besten, mit denen wir also auch gut befreundet waren: Es kann nicht jeder gehen. Wir müssen, es müssen welche hierbleiben. Und ich hab, bin ganz bewusst hier geblieben. Mein Bruder ist gegangen, ´52, auch aus politischen Gründen, mein Vater ist ´53 gegangen, meine Eltern waren geschieden zu der Zeit. Aber ich muss sagen, ich bin bewusst hier geblieben und bin diesen Weg in der Kirchengemeinde gegangen mit Jugendarbeit, und das habe ich im Laufe meines Lebens aber auch zu spüren bekommen, dass ich aktiv in der Jugendarbeit war und politisch, ich war kein Widerständler, aber Partei und Schule wussten, was sie von der Familie Kubina halten. Und das war auch die Zeit, wo unser Sohn eigentlich zur Jugendweihe hätte gehen müssen. Und FDJ war er immer noch nicht, und denn ging es darum, um die Erweiterte Oberschule. Da hab ich ein Gespräch mit dem Direktor gehabt, naja, da sagte er mir, wenn mein Sohn morgen in die FDJ eintreten wird, dann kriegt er die Zulassung zur Oberschule. Und das war für uns natürlich kein Diskussionspunkt, und er ist eben auch nicht zur Oberschule gekommen. Ich hatte denn noch ein bisschen mitgearbeitet im Elternbeirat zuerst, aber dann war es vorbei. Und das waren so meine Erfahrungen und naja, keines unserer Kinder konnte zur Oberschule gehen, obwohl sie entsprechende Leistungen hatten. Unser Sohn mit "Auszeichnung" gemacht die 10. Klasse, unsere Tochter mit "Auszeichnung", und ich glaube, Beate hat auch mit "Auszeichnung" gemacht, aber die beiden Mädchen durften dann wenigstens Abitur mit Berufsausbildung wählen. Und da weiß ich von unserer ersten Tochter, die in den ersten Wochen jedes Mal dermaßen fertig nach Hause kam, die wurde Tag für Tag bearbeitet, in die FDJ einzutreten in der Berufsausbildung vor der versammelten Klasse. Und das war ein Wochenende, da war es denn wieder soweit, unser Sohn war zuhause. Der machte in der Zwischenzeit eine Berufsausbildung, und wir hatten unserer Tochter zugesichert: Du kannst Montag in die FDJ eintreten, du verkraftest es nicht. Und da sagt unser Sohn zu ihr: "Wir haben bis jetzt durchgestanden und ausgehalten, du wirst doch wohl jetzt nicht in die FDJ mehr eintreten!" Und da hat sie gesagt: "Ja, du hast recht." Und da hat sie am Montag in der Klasse gesagt, dass sie mit ihr machen können, was sie wollen, aber sie tritt nicht in die FDJ ein. Und im Laufe des Tages hat der Lehrer vor der versammelten Klasse gesagt: "Annette Kubina wird nicht in die FDJ eintreten und so soll es sein." Und da war sie wieder die einzige, aber sie ist nicht Mitglied der FDJ geworden. Und bei meiner, unserer zweiten Tochter, da haben sie das erst gar nicht versucht. Aber die konnte ihren Abiturabschluss nicht mit "Auszeichnung" bestehen, weil die gesellschaftliche Entwicklung bei ihr nicht im positiven Sinne gewährleistet war. Das hat mir einer vom Rat der Stadt wörtlich von der Abteilung Schulbildung auf meinen Protest hin gesagt. Naja, das war so unser Weg.

Ich habe immer gesagt, es kann nicht jeder gehen, es müssen welche hierbleiben, ich bin ganz bewusst hier geblieben. Mein Bruder ist gegangen, 1952, aus politischen Gründen. Mein Vater ist 53 gegangen. Ich bin diesen Weg in der Kirchengemeinde gegangen. Das war unser Weg.

Biografie

Werner Kubina und Hannelore Schober im Sommer 1954

Werner Kubina aus Brandenburg an der Havel ist in der kirchlichen Jugendarbeit engagiert. Nach Ende des Krieges hofft er auf einen guten Neuanfang.  Als die FDJ

Die Freie Deutsche Jugend (FDJ) war der einzige staatlich zugelassene Jugendverband der DDR und verstand sich als „Kampfreserve der Partei“ der SED. Seine Kennzeichen waren blaue Hemden und Blusen sowie das Emblem der aufgehenden Sonne. Die große Mehrheit der Jugendlichen war Mitglied der FDJ. Der Zugang zu weiterführender Schulbildung sowie die Chancen bei der Berufswahl waren meistens von der Mitgliedschaft abhängig.  

1946 gegründet wird, wirbt sie sogar noch um christliche Jugendliche. Etwas später ändert sich das schnell.

Anfang der fünfziger Jahre beginnt die Verfolgung der kirchlichen Jugendarbeit. Ende März 1953 werden christliche Schüler an den Oberschulen gezwungen, sich öffentlich von der Jungen Gemeinde zu distanzieren. Wer sich weigert, wird aus der FDJ

Die Freie Deutsche Jugend (FDJ) war der einzige staatlich zugelassene Jugendverband der DDR und verstand sich als „Kampfreserve der Partei“ der SED. Seine Kennzeichen waren blaue Hemden und Blusen sowie das Emblem der aufgehenden Sonne. Die große Mehrheit der Jugendlichen war Mitglied der FDJ. Der Zugang zu weiterführender Schulbildung sowie die Chancen bei der Berufswahl waren meistens von der Mitgliedschaft abhängig.  

ausgeschlossen und der Schule verwiesen. Mehr als 70 Jugendliche trifft diese politische Diskriminierung in der Stadt. Auch Kubinas Frau ist unter ihnen.

Ausgerechnet am 17. Juni 1953 ist Werner krank und muss im Bett bleiben. Seine Frau ist froh darüber, dass ihn die Krankheit daran hindert, sich in Gefahr zu begeben. Vom Fenster aus sieht er, wie sich der Demonstrationszug auf dem Molkenmarkt drängt und ein Mann aus dem Kreisgericht geschlagen und auf ein Podest geschleppt wird. Er erfährt, dass der Jugendpfarrer einige Häuser weiter im Jugendclubhaus aktiv ist und hofft, dass der Protest entscheidende Veränderungen in der DDR

Die Deutsche Demokratische Republik wurde am 7. Oktober 1949 auf dem Gebiet der Sowjetischen Besatzungszone gegründet. Sie hatte den Charakter einer kommunistischen Diktatur nach sowjetischem Vorbild.

bewirkt. Doch schon am nächsten Tag ist klar, dass nichts daraus wird. Der Aufstand ist niedergeschlagen.

Werner Kubina bemerkt in den folgenden Jahren oft, dass seine Jugendstunden demonstrativ beobachtet werden, um Interessenten abzuschrecken. Von der politischen Ausgrenzung aktiver Christen sind auch seine Kinder betroffen. Trotz bester Leistungen werden sie nicht zum Abitur zugelassen. Die beiden Töchter dürfen später immerhin eine Berufsausbildung mit Abitur machen, seinem Sohn bleibt auch das in der DDR

Die Deutsche Demokratische Republik wurde am 7. Oktober 1949 auf dem Gebiet der Sowjetischen Besatzungszone gegründet. Sie hatte den Charakter einer kommunistischen Diktatur nach sowjetischem Vorbild.

verwehrt.