Detlev Putzar

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Detlev Putzar, geboren 1929, erlebte das Kriegsende 1945 im Volkssturm im mecklenburgischen Malchin. Schon nach wenigen Metern, die wir unter einer Uferböschung langfuhren, standen plötzlich Russen da und hielten uns ihre Maschinenpistolen vor die Brust, wir waren also genau in die russische Besatzungstruppe gefahren, die holten uns aus dem Kahn raus. Und wir fürchteten natürlich, dass wir nun nicht mehr lange zu leben haben würden. Und wir merkten auch, die Russen wussten nicht so recht, was sie mit uns machen sollen. Und da sagte der Sergeant, der ein paar Brocken Deutsch konnte, zu uns, nachdem er sah, dass er nur Fünfzehn- und Vierzehnjährige vor sich hatte: "Nix Angst vor Soldaten, aber", sagte er, "wenn welche kommen mit grüner Mütze," also "ü" können sie ja nicht sagen, "grjuner Mjutze", dann sollten wir uns in acht nehmen. Wir haben das nicht verstehen können, was er damit meinte, und erst sehr viel später fiel uns auf, dass die GPU beziehungsweise umbenannt in NKWD, dass diese Truppe grüngeränderte Mützen trug. In einer Nacht im September 1945 polterte das denn plötzlich bei uns an der Tür und Russen, russische Soldaten, die vor dem Haus und um das Haus rumstanden, forderten Einlass. Mein Großvater kam und schloss die Tür auf und die Russen fragten ihn nach dem Namen und dann hörte ich meinen Namen nennen. Wir waren ja alle aufgewacht, das ganze Haus war aufgewacht von diesem Lärm. Und russische Soldaten polterten die Treppe hoch, riefen immer meinen Namen und ich sprang aus dem Bett und zog mich an und stand vor unserer Schlafkammer, als die Russen dann oben waren. Und sie schubsten mich die Treppe runter, an meinem Großvater vorbei, der mich traurig anguckte, aber nichts machen konnte, natürlich nichts sagen konnte, weil hinter ihm ein russischer Soldat stand. Und auf der Straße wartete ein alter Opel P4, in den ich einsteigen sollte - was ich aber nicht gleich begriff-, und dann kriegte ich schon einen mächtigen Hieb auf den Hinterkopf und einen Tritt und flog ins Auto rein und da saß einer auf der Bank, der mir ins Gesicht schlug, sodass ich gleich in der richtigen Ecke zu sitzen kam. Und ich hatte Angst, noch in der gleichen Nacht erschossen zu werden. Ich bekam dann mit, dass man in der Zwischenzeit auch meinen Bruder verhaftet hatte und ein russischer junger Wachposten hat während seiner Nachtwache meinen Bruder und mich zusammen in eine Zelle, in die Zelle meines Bruders gesperrt, sodass wir uns begegnen, aber kaum was sagen konnten. Und so wussten wir voneinander und mein Bruder war ja noch ein Jahr jünger, vierzehn, und ich habe ihn im Keller furchtbar weinen hören. Wir wurden zu einer Werwolfsorganisation erklärt, obwohl ich, wie gesagt, viere von dieser Gruppe gar nicht kannte. Und die beiden älteren - der eine war vierundzwanzig, der andere war zweiunddreißig Jahre alt, hatte beide Beine weg, konnte also überhaupt gar keinen irgendwie gearteten militärischen Widerstand leisten - , die wurden zum Tode verurteilt und vier Wochen später erschossen. Wir anderen erhielten zehn Jahre Arbeitsstraflager. Unter den Gefangenen waren auch Mädchen, die dann mit uns von Strelitz im September 1946 nach Sachsenhausen gebracht wurden. Wieder auf einem offenen, auf offenen LKWs, in Handschellen, sodass man sich ganz schlecht bewegen konnte oder zurechtrücken konnte auf dem Wagen, das war eine qualvolle Fahrt, kamen wir dann in dem berüchtigten, berühmten KZ-Lager an, durch das Tor, an dem heute noch "Arbeit macht frei" steht. Und wurden durch das Hauptlager, also durch das alte NS-KZ durchgeführt durch ein Tor, eigentlich war das die Außenmauer, um in das Lager, das dahinter entstanden war und aus vierundfünfzig großen Baracken bestand, als erste Strafgefangene eingeliefert zu werden. ´46 im November, glaube ich, war es, jedenfalls kurz nachdem wir dort eingeliefert worden waren, wurde die Verpflegung halbiert, sodass wir am Tage dreihundert Gramm nasses Kastenbrot - das war nicht viel, das Brot war sehr feucht - bekamen und einen Dreiviertelliter Suppe, in der auch nichts drin war, dünne, ganz dünne Wassersuppe. Und ungefähr einen Dreiviertelliter Tschai. Das heißt also "Tee". Und es dauerte nicht lange, da setzte die große Sterblichkeit ein, auch unter den Jugendlichen. Und von den Malchower Jugendlichen sind gerade in den Jahren ´47 bis Anfang ´48 zehn Jungs elend zugrunde gegangen. Nachdem mein Bruder ins Lazarett gekommen war, das war dann im Jahr ´49, also nach dem Weihnachten ´48, fragte Professor Heinze nach mir, fragte: "Wo ist dein Bruder?" Und ließ mich dann ins Lazarett lotsen, da waren viele Tricks nötig, weil Professor Heinze davon ausging, ich müsste mich bei meinem Bruder mit der Tbc angesteckt haben, weil ich ja immer neben ihm gelegen hatte. So kam ich im Sommer 1949 in das Laboratorium des Lazaretts zu Prof. Dr. Gildemeister, der ein genialer Improvisator war, der also aus Nichts praktisch ein leistungsfähiges Labor gemacht hatte. Es war wirklich erstaunlich, was da möglich wurde. Wir hatten also in dem Laboratorium Tuberkel-Bazillen zu färben, zu mikroskopieren, Blutuntersuchungen zu machen, Stuhluntersuchungen, Urinuntersuchungen, es wurden sogar Wassermann gemacht, weil wir eine ganze Reihe Frauen hatten, die von den Russen mit Syphilis angesteckt worden waren. Im Januar 1950 war dann eine plötzliche Unruhe. Und es war kein Zweifel nach kurzer Zeit: Es gingen Transporte ab von Sachsenhausen, wobei man zu Anfang nicht wusste, wohin. Und dann stellte sich durch ein ganz einfaches Kriterium die Frage: Es muss eine positive Transportrichtung geben, denn es gab Gefangene, die mit dem Strohsack aus der Zone II in die erste Zone gehen mussten und es gab Gefangene, die aufgerufen wurden, ohne Strohsack in die erste Zone zu gehen. Und so bildete sich dann sehr bald die Bezeichnung raus "der mit dem Strohsack kommt auf den falschen Dampfer" und "der ohne Strohsack auf den richtigen", und der richtige, der ging nach Hause und der andere, der ging nach Russland oder, wie wir dann erfuhren, in die Zuchthäuser der DDR. Und daran, als wir aufgerufen wurden, konnten wir ablesen, mein Bruder und ich, dass wir den falschen Dampfer besteigen mussten und das hieß, dass wir nach viereinhalb Jahren nicht freigelassen werden würden. Im Januar 1950 kommt Detlev Putzar in die Haftanstalt Untermaßfeld. 1951 wird er entlassen und geht in die Bundesrepublik. Dass wir nach Malchow fahren können, uns mit den alten Freunden, die noch leben, treffen. Das war zuerst nicht leicht, und ich muss Ihnen sagen, es ist auch heute immer noch manchmal von Folgen begleitet, dass man, wenn man die Freunde sieht, und man braucht gar nicht darüber zu sprechen, man weiß, unter welchen Umständen man sie gesehen hat und man sieht auch oder weiß auch noch, wie man Freunde verloren hat, gemeinsame Freunde, wie die qualvoll auch geschrien haben, dann träumt man wieder Angstträume plötzlich und Angstschweiß bricht einem wieder aus, man wird wieder verhaftet, erschossen, obwohl man sagt: Mensch, das ist so lange her!, und genau durch diese Treffen, sodass also mein Bruder schon zwei-, dreimal gar nicht da war, weil er sagte: Du, ich ertrag das nicht. Also, es ist schön, dass man sich da wieder sieht, aber ich, ich kann nicht immer daran teilnehmen.

Uns mit den alten Freunden treffen, die noch leben, das war zuerst nicht leicht. Man weiß noch, wie man gemeinsame Freunde verloren hat, wie die qualvoll geschrien haben. Dann träumt man wieder Angstträume und Angstschweiß bricht aus, man wird wieder verhaftet, erschossen, obwohl man sagt: Mensch, das ist so lange her!

Biografie

3-4 Monate nach der Entlassung aus Untermaßfeld 1951

Detlev Putzar ist 15 Jahre alt, als er 1945 in Malchow zusammen mit ein paar anderen Jugendlichen gegen die Rote Armee

Die Streitkräfte der Sowjetunion nannten sich „Rote Armee". Die Soldaten aus dem Vielvölkerstaat Sowjetunion waren unterschiedlicher Nationalität, die meisten waren Russen. Ihr Symbol war der rote Stern. Noch im Jahr 1990 waren in der DDR ca. 340.000 sowjetische Soldaten und 208.000 Zivilangestellte stationiert.

kämpfen soll. Es ist ein Befehl, den sie nicht hinterfragen. Doch als die Jungs tatsächlich Sowjetsoldaten gegenüberstehen, haben sie Glück: Ein junger russischer Sergeant nimmt ihnen die Waffen ab und schickt sie nach Hause.

Jetzt könnte ein neues Leben beginnen. Doch schon im September wird Detlev plötzlich von der sowjetischen Geheimpolizei verhaftet, bald darauf auch sein jüngerer Bruder und einige Freunde. Werwölfe sollen sie sein, also Nazi-Partisanen, die nach Kriegende immer noch gegen die Rote Armee

Die Streitkräfte der Sowjetunion nannten sich „Rote Armee". Die Soldaten aus dem Vielvölkerstaat Sowjetunion waren unterschiedlicher Nationalität, die meisten waren Russen. Ihr Symbol war der rote Stern. Noch im Jahr 1990 waren in der DDR ca. 340.000 sowjetische Soldaten und 208.000 Zivilangestellte stationiert.

kämpfen. Ein Vorwurf, der in den brutalen Verhören immer wieder erhoben wird. Detlev und auch sein Bruder werden zu zehn Jahren Lagerhaft verurteilt.

Im September 1946 bringt ihn ein Transport ins Speziallager

Das sowjetische Volkskommissariat für Inneres (NKWD) richtete von 1945 bis 1950 in der SBZ/DDR insgesamt zehn Speziallager ein. Anfangs sollten hier nach Kriegsende vorrangig ehemalige Funktionsträger des NS-Staates inhaftiert werden. Gleichzeitigt dienten die Lager zur Zwangsrekrutierung von in der Sowjetunion benötigten Arbeitskräften. In der Folgezeit wurden hier jedoch mehr und mehr Personen festgehalten, die als Gefahr für die Besatzungsmacht oder für den Aufbau der neuen Gesellschaftsordnung angesehen wurden.

Sachsenhausen

Im August 1945, nach Ende des Zweiten Weltkriegs, internierte der sowjetische Geheimdienst nichtverurteilte deutsche Zivilisten im ehemaligen nationalsozialistischen Konzentrationslager Sachsenhausen. Ab 1946 war die Zone II des Lagers Haftort für Verurteilte der Sowjetischen Militärtribunale (SMT). Insgesamt waren bis 1950 in diesem Lager 60.000 Menschen inhaftiert. In dieser Zeit starben 12.000 an den Haftbedingungen. Das Lager wurde im Frühjahr 1950 aufgelöst.

. Wenige Wochen später werden die ohnehin kargen Rationen halbiert. Die Sterblichkeit der Häftlinge steigt auch unter den entkräfteten Jugendlichen. Zehn der Malchower Freunde überleben den Hunger nicht. Detlev wird von einem internierten Arzt gerettet. Der sorgt dafür, dass er im Labor des Lazaretts arbeiten darf und so eine etwas bessere Verpflegung erhält.

Als die Speziallager

Das sowjetische Volkskommissariat für Inneres (NKWD) richtete von 1945 bis 1950 in der SBZ/DDR insgesamt zehn Speziallager ein. Anfangs sollten hier nach Kriegsende vorrangig ehemalige Funktionsträger des NS-Staates inhaftiert werden. Gleichzeitigt dienten die Lager zur Zwangsrekrutierung von in der Sowjetunion benötigten Arbeitskräften. In der Folgezeit wurden hier jedoch mehr und mehr Personen festgehalten, die als Gefahr für die Besatzungsmacht oder für den Aufbau der neuen Gesellschaftsordnung angesehen wurden.

1950 aufgelöst werden, kommt Detlev Putzar nach 4 ½ Jahren Haft noch immer nicht frei. Erst 1951 wird er aus einer DDR

Die Deutsche Demokratische Republik wurde am 7. Oktober 1949 auf dem Gebiet der Sowjetischen Besatzungszone gegründet. Sie hatte den Charakter einer kommunistischen Diktatur nach sowjetischem Vorbild.

-Haftanstalt entlassen. Die Erinnerungen an Sachsenhausen

Im August 1945, nach Ende des Zweiten Weltkriegs, internierte der sowjetische Geheimdienst nichtverurteilte deutsche Zivilisten im ehemaligen nationalsozialistischen Konzentrationslager Sachsenhausen. Ab 1946 war die Zone II des Lagers Haftort für Verurteilte der Sowjetischen Militärtribunale (SMT). Insgesamt waren bis 1950 in diesem Lager 60.000 Menschen inhaftiert. In dieser Zeit starben 12.000 an den Haftbedingungen. Das Lager wurde im Frühjahr 1950 aufgelöst.

belasten ihn bis heute. Das Gedenken an die in Sachsenhausen

Im August 1945, nach Ende des Zweiten Weltkriegs, internierte der sowjetische Geheimdienst nichtverurteilte deutsche Zivilisten im ehemaligen nationalsozialistischen Konzentrationslager Sachsenhausen. Ab 1946 war die Zone II des Lagers Haftort für Verurteilte der Sowjetischen Militärtribunale (SMT). Insgesamt waren bis 1950 in diesem Lager 60.000 Menschen inhaftiert. In dieser Zeit starben 12.000 an den Haftbedingungen. Das Lager wurde im Frühjahr 1950 aufgelöst.

gestorbenen Freunde ist ihm ein wichtiges Anliegen.