Gisela Trostorf

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Ja, ich freue, dass ich nach so vielen Jahrzehnten die Möglichkeit habe, über dieses Thema, was jahrelang in der DDR tabu war, sprechen zu können. Im Prinzip wiederholt sich die Geschichte. Mein Vater, 1903 geboren, hat in Berlin-Köpenick die Schule besucht, den Beruf in Oberschöneweide gelernt, Maschinenschlosser und zu der Zeit ausgelernt, wo auch die Weltwirtschaftskrise langsam losging, Arbeitslosigkeit. Er war auch arbeitslos kurze Zeit, und da hat sein zukünftiger Schwager, der da irgendwo im Büro gearbeitet hat, gesagt: "Mensch, Bruno, du bist doch viel zu schade für die Fabrik!", und so, "Willst du dich nicht bei der Polizei bewerben? Mach doch Polizeischule, bei der Polizei suchen sie Leute." Das war so 1921 rum. Und ich bin nach wie vor überzeugt, das weiß ich auch von meinen Verwandten, mein Vater war nicht ein eingefleischter Nazipolizist, sondern der war froh, dass er einen sicheren Job hatte. Und er ist ja auch nur im Jahr 1944 Hauptwachtmeister gewesen, zwar verbeamtet, aber Hauptwachtmeister, also so eine steile Karriere hat er scheinbar nicht angestrebt. Ob er Mitglied der NSDAP war, die Frage kann ich nicht beantworten. Sicher wird ihm das nicht verschont geblieben sein, aber ich weiß aus meinen Verwandtengesprächen, dass mein Vater kein, also im Gegensatz zu anderen, so strammer Polizeioffizier gewesen ist wie man das so heute versucht hinzustellen. Der Vater von Gisela Trostorf wird 1944 zum Kriegsdienst einberufen. 1945 erfolgt seine Entlassung aus amerikanischer Kriegsgefangenschaft. Dann hat er sich quer von Süddeutschland nach Berlin durchgeschlagen. Da hat er in Berlin-Kreuzberg in der Obentrautstraße seinen Bruder aufsuchen wollen, der war noch nicht vom Krieg zurück, aber seine Schwägerin war da, sie hat sich natürlich auch riesig gefreut, dass mein Vater den Krieg überstanden hatte. Da die gleiche Warnung: "Bruno, bleib hier!" Das war britischer Sektor, Kreuzberg. "Bleib hier, in Bernau sind die Russen, bleib hier." Aber mein Vater in seiner Gutmütigkeit und seinem guten Gewissen hätte da, wenn er ein schlechtes Gewissen gehabt hätte, wäre er ja nicht in so eine Kleinstadt zurückgekommen, sondern hätte sicher da im sicheren Westen wahrscheinlich sich auch wieder ein bequemes Leben machen können, uns vielleicht nachholen können. Aber wie gesagt, er ist dann auch da nur ein paar Tage geblieben, ist Richtung Bernau weiter. Und da kam so eine Mongolenstreife an, „Stoj“, mein Vater hatte seine amerikanischen Entlassungspapiere und auch eine entsprechende, weiß ich, Militärhose, jedenfalls, er war ja froh, dass er was anzuziehen hatte, wie die eben aus dem Lager so kamen, war er erst mal schon verdächtig. Die amerikanischen Papiere, musste er absteigen, der Gastwirt und seine Frau, der Herr Beiler, die konnten weiter nach Bernau und haben es auch geschafft, und mein Vater war verschwunden. Ja. Dann habe ich in Bernau meine Kindheit verlebt und Schulzeit. Und im Prinzip bis auf eine einzige Ausnahme, auf die ich noch zu sprechen komme, habe ich von meinem Vater nichts Offizielles gehört beziehungsweise meine Mutter als Ehefrau auch nicht. Dann brachte die "Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit" Nachrichtenübermittlung von entlassenen Häftlingen, wo mitgeteilt wurde, wer wo inhaftiert ist, wer eventuell schon verstorben ist und das wurde uns dann, wir besaßen kein Radio, von Bernauer Bürgern anonym in den Briefkasten gesteckt und somit wussten wir, wo mein Vater ist. Im Februar 1946, ich war fünfeinviertel Jahr alt, mein Bruder siebenviertel Jahr alt, da haben wir meinen Vater noch einmal gesehen und das ist auch die Erinnerung, die ich in mir habe. Wir saßen in dieser Wohnung, von der ich eben gesprochen hab, und da kam mein Vater mit einem russischen Soldaten mit der entsprechenden Uniformierung. Und meine Mutter war natürlich total erschreckt und wir als Kinder, ja, den Vater haben wir noch, ich fast gar nicht mehr in Erinnerung gehabt, aber es wurde ja viel über ihn gesprochen, war die Freude groß. Und da hat mein Vater uns nur gesagt, er hat in seiner Funktion im Lager Sachsenhausen, wo er seit 1945 ist, die Aufgabe gehabt, in Bernau im Bekleidungsamt Uniformstücke mit seinem Bewacher abzuholen und da hat er diesen überredet, er möchte seine Familie doch mal aufsuchen, seine Frau hätte Wodka. Wir hatten weder Wodka, noch was zu essen, aber jedenfalls - das gelang. Und somit wissen wir ganz offiziell aus seinem eigenen Mund, dass er eben in Sachsenhausen ist, und er meinte aber, es könnte nicht mehr lange dauern, es wird schon wieder alles gut werden. Das Ganze hat vielleicht fünf Minuten gedauert und dann war dieser Kurzbesuch beendet und das war auch das allerletzte Lebenszeichen. Dann hörten wir wie gesagt immer wieder ab und zu von diesen Informationen aus dem RIAS, "Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit", und da wurde eben mitgeteilt, dass mein Vater 1947 verstorben sein soll. Und dann haben wir es so fast offiziell bekommen von einem Lagerkameraden, der 1948 entlassen wurde. Der hat meine Mutter aufgesucht und ihr eine eidesstattliche Erklärung übergeben. Er hat es meinem Vater versprochen, die Kameradschaft war eben sehr ausgeprägt und das war üblich, und dieser Mann hat auch sein Versprechen gehalten und hat meiner Mutter mitgeteilt schriftlich, dass sie Unterlagen hat, um Rente einzureichen für uns Kinder und damals in der Hoffnung, auch noch Witwenrente zu bekommen, aber die Illusion wurde ihr schnell genommen. Meine Mutter hat denn auch dieses Schreiben genommen, konnte Rente beantragen, aber da hat man ihr geantwortet: "Wenn Ihr Mann in Sachsenhausen war, dann war er Kriegsverbrecher und dafür wollen Sie noch Geld haben?" Da war meine Mutter so erschüttert gewesen und hat überhaupt nichts mehr unternommen und damit war das Thema für uns erst mal eine Weile erledigt. Außerdem war sie auch irgendwie durch Angst geprägt, jedenfalls gab es da erst mal nichts. So, und dann ruhte die Sache von 1957 bis zum Jahre 2000, wir haben nie wieder was davon gehört. Wir haben uns mit dem Gedanken abgefunden. Irgendwann, wie es gelaufen ist, weiß ich heute nicht mehr, haben wir auch mal Waisenrente gekriegt. 35 Mark hat meine Mutter für uns Kinder damals bekommen, aber ab wann, kann ich leider nicht mehr sagen. Aber jedenfalls hat meine Mutter meinen Vater bis zum Schluss nicht für tot erklärt. Und denn ergab sich der nähere Kontakt nachher, dass ich gehört hab, dass in Sachsenhausen auch ein, inzwischen so wie in Buchenwald, wie ich es von einer Nachbarin hörte, schon Totenbücher und Totenlisten und Lagerkarteien aufgebaut wurden. Und daraufhin habe ich mich da hingewandt, hab nach Rückfrage meine mir vorhandenen Geburtsurkunden, Sterbeurkunden, Eheurkunde meiner Eltern hingeschickt und da wurde mir von Frau Dr. Ines Reisch unterschrieben ein Brief geschickt, wo draus hervorgeht, dass mein Vater an Pneumonie am 7. März 1947 verstorben ist. Und nach der damaligen Bestattungspraxis kann keine genaue Grablage verständlicherweise mitgeteilt werden, aber man kann davon ausgehen, dass diese Häftlinge, die 1947 gestorben sind, wahrscheinlich am Kommandantenhof beigesetzt wurden. Weil da eben diese große Hungersnot, die ohnehin schon herrschte, aber nach Ende ´46/´47 nochmal reduziert wurde, und da setzte das große Massensterben ein und wir können davon ausgehen, dass er dort bestattet ist. Dann ergab sich folgende Situation: Der ehemalige Innenminister Schönbohm von Brandenburg hatte mal eine Gedenkrede gehalten im April 2006 für die Opfer von Sachsenhausen. Ich meine, da haben ja viele gelitten, aber er hatte sich erdreistet - in Anführungsstrichen - zu sagen, dass auch das große Sterben und das Leid nach 1945 weiterging. Und da wurde er sehr gescholten von der Presse und von vielen anderen Organen. Und da ging der Briefwechsel dieser Briefe in der Berliner Zeitung hin und her. Und da hat mich das dermaßen geärgert, dass ich mich hingesetzt hab und habe mich in einem Leserbrief beim Herrn Schönbohm bedankt für die offenen Worte, die er gefunden hat und hab mal in Kurzfassung meine Situation geschildert. Wenn man jetzt im Nachhinein rumgehorcht, selbst im Nachbarhaus ist auch jemand, der einen Verwandten, einen Sechzehnjährigen im Lager verloren hat, wurde nicht darüber gesprochen, das gab es nicht und war Tabuthema. Die einzige Rache - in Anführungsstrichen -, die ich geübt hab: Ich hab mein Leben lang bei der Eisenbahn gearbeitet, war auch schön, aber denn hatte man ja so, wie das in den, heute Teams, damals Kollektiven, hatte man Ausflüge gemacht, unter anderem - heute besuchen wir die Gedenkstätte - oder nicht heute, an einem Wochenende, nach Sachsenhausen. Sage ich: Da komme ich nicht mit. "Na, warum denn nicht?", und so. Ich sage: "Pass mal auf, ich trampele meinem Vater nicht auf dem Kopf rum. Der liegt da irgendwo. Ich komm nicht mit." Wann war das? Das war so Ende der siebziger, Anfang der achtziger Jahre. Kulturobmann, was man denn so hatte, in den einzelnen Arbeitsbereichen, mal wurde ein Theaterbesuch organisiert, mal wurde eine Gedenkstätte besucht. Ich meine, ich war auch in Buchenwald zur Gedenkstätte, war damals einfach ein obligatorisches Pflichtprogramm und man will ja auch nicht das wegreden. Es ist überall viel Unrecht geschehen, aber das Unrecht, was mich eben nach wie vor ergriffen hat, ist, dass Unrecht geschehen ist, und wenn man über Unrecht nicht mehr sprechen darf, denn ist es neues Unrecht. Und deshalb habe ich gesagt, ich erdreiste mir das, darüber zu sprechen. Und meine Mutter hatte immer Angst und sagt: "Mensch, wer weiß, die sperren uns auch noch ein und mich als Mutter, das glaubt doch keiner, dass als Fünfzehnjährige du diejenige bist, die eigentlich rührt. Ich hab mich mit dem Gedanken abgefunden." Aber ich hab immer versucht, wo ich konnte, ein bisschen zu sticheln, und das ist mir bis zum Schluss auch gelungen, aber Nachteile, muss ich sagen, habe ich dadurch trotzdem nicht erfahren. Mir ging es darum, den Beweis vielleicht irgendwie zu kriegen - man hat ja keine Protokolle oder was über Verhöre oder dergleichen geführt -, aber ich wollte dies gerne, weil ich gehört hab, dieses bekommen nur Leute, die auch keine Kriegsverbrechen oder in der Nazidiktatur auch keine Verbrechen begangen haben. "Die Stiftung für ehemalige politische Häftlinge hat mich um Prüfung gebeten, ob bei Ihrem verstorbenen Vater die Voraussetzungen gemäß § 1 Absatz 1 Häftlingshilfegesetz gegeben sind." Und dieses wurde bestätigt. Und daraufhin wurde mir eine Summe überwiesen. Und ich betrachte dieses als Bestätigung, weil ich ja weiß, dass Verbrecher keine oder Angehörige von Verbrechern dieses nicht kriegen, betrachte ich das wirklich als eine Bestätigung, dass mein Vater, so wie es auch den Unterlagen von Sachsenhausen hervorgeht, mit dem Haftgrund: Mitarbeiter Gendarmerie festgenommen wurde. Und die beiden zusammen, die beiden Schriftstücke, die sind für mich ein Beweis, dass mein Vater kein Verbrecher gewesen ist. Ich hab Kontakt aufgenommen mit Sachsenhausen, bin selbst seit 2006 regelmäßig dort zu den Gedenkveranstaltungen. Und für mich ist das nach so vielen Jahrzehnten eine Freude, dort immer daran teilnehmen zu können und dass sich eben immer noch so viele verbunden fühlen. Vor allen Dingen erscheint mir das auch äußerst wichtig, deshalb habe ich das auch in meine Familie weitergegeben. Meinem Sohn und meinem Neffen, die Kinder der DDR - in Anführungsstrichen - wo die hier ihre Schulbildung genossen haben und ihre Kindheit und Jugend verbracht haben, dass die auch darüber was wissen und dass es nicht in Vergessenheit gerät.

Wenn man über Unrecht nicht mehr sprechen darf, dann ist es neues Unrecht.

Biografie

Gisela Trostorf mit Mutter und Bruder vor Kriegsende

Gisela Trostorf aus Bernau weiß noch, wie es war, als sie mit fünf Jahren ihren Vater zum letzten Mal gesehen hat. In Begleitung eines sowjetischen Soldaten kam er 1946, zerlumpt und abgemagert für fünf Minuten in die Wohnung. Er konnte Giselas Mutter nur kurz sagen, dass er im Speziallager

Das sowjetische Volkskommissariat für Inneres (NKWD) richtete von 1945 bis 1950 in der SBZ/DDR insgesamt zehn Speziallager ein. Anfangs sollten hier nach Kriegsende vorrangig ehemalige Funktionsträger des NS-Staates inhaftiert werden. Gleichzeitigt dienten die Lager zur Zwangsrekrutierung von in der Sowjetunion benötigten Arbeitskräften. In der Folgezeit wurden hier jedoch mehr und mehr Personen festgehalten, die als Gefahr für die Besatzungsmacht oder für den Aufbau der neuen Gesellschaftsordnung angesehen wurden.

Sachsenhausen

Im August 1945, nach Ende des Zweiten Weltkriegs, internierte der sowjetische Geheimdienst nichtverurteilte deutsche Zivilisten im ehemaligen nationalsozialistischen Konzentrationslager Sachsenhausen. Ab 1946 war die Zone II des Lagers Haftort für Verurteilte der Sowjetischen Militärtribunale (SMT). Insgesamt waren bis 1950 in diesem Lager 60.000 Menschen inhaftiert. In dieser Zeit starben 12.000 an den Haftbedingungen. Das Lager wurde im Frühjahr 1950 aufgelöst.

interniert ist, seine Lieben umarmen, dann zog ihn der Soldat wieder aus der Wohnung. Dem Vater war es gelungen, den Wachsoldaten eines Außenkommandos des Lagers zu überreden, kurz seine Familie zu informieren, dass er noch am Leben war, denn seit 1945 galt er als vermisst.

Der Vater war auf dem Weg aus kurzer amerikanischer Kriegsgefangenschaft nach Bernau, wo seine Frau und die beiden Kinder lebten. Bis zu seiner Einberufung zum Wehrdienst 1944 war er hier Polizist gewesen, einer von denen, die schon vor der Machtergreifung der Nazis 1933 im Polizeidienst waren. Bevor er jetzt jedoch in Bernau ankam, verhaftete ihn eine sowjetische Streife auf offener Straße.

Im Jahr nach dem kurzen Besuch stirbt der Vater im Lager Sachsenhausen

Im August 1945, nach Ende des Zweiten Weltkriegs, internierte der sowjetische Geheimdienst nichtverurteilte deutsche Zivilisten im ehemaligen nationalsozialistischen Konzentrationslager Sachsenhausen. Ab 1946 war die Zone II des Lagers Haftort für Verurteilte der Sowjetischen Militärtribunale (SMT). Insgesamt waren bis 1950 in diesem Lager 60.000 Menschen inhaftiert. In dieser Zeit starben 12.000 an den Haftbedingungen. Das Lager wurde im Frühjahr 1950 aufgelöst.

. Eine offizielle Mitteilung bekam die Familie nie, doch ein Mithäftling besucht Giselas Mutter nach seiner Entlassung, um ihr die Todesnachricht zu überbringen.

Gisela hat in der DDR

Die Deutsche Demokratische Republik wurde am 7. Oktober 1949 auf dem Gebiet der Sowjetischen Besatzungszone gegründet. Sie hatte den Charakter einer kommunistischen Diktatur nach sowjetischem Vorbild.

-Zeit trotz des Tabus, darüber zu reden, immer offen über das Schicksal ihres Vaters gesprochen. Wenn ein Betriebsausflug in die KZ

Das sowjetische Volkskommissariat für Inneres (NKWD) richtete von 1945 bis 1950 in der SBZ/DDR insgesamt zehn Speziallager ein. Anfangs sollten hier nach Kriegsende vorrangig ehemalige Funktionsträger des NS-Staates inhaftiert werden. Gleichzeitigt dienten die Lager zur Zwangsrekrutierung von in der Sowjetunion benötigten Arbeitskräften. In der Folgezeit wurden hier jedoch mehr und mehr Personen festgehalten, die als Gefahr für die Besatzungsmacht oder für den Aufbau der neuen Gesellschaftsordnung angesehen wurden.

-Gedenkstätte Sachsenhausen

Im August 1945, nach Ende des Zweiten Weltkriegs, internierte der sowjetische Geheimdienst nichtverurteilte deutsche Zivilisten im ehemaligen nationalsozialistischen Konzentrationslager Sachsenhausen. Ab 1946 war die Zone II des Lagers Haftort für Verurteilte der Sowjetischen Militärtribunale (SMT). Insgesamt waren bis 1950 in diesem Lager 60.000 Menschen inhaftiert. In dieser Zeit starben 12.000 an den Haftbedingungen. Das Lager wurde im Frühjahr 1950 aufgelöst.

bevorstand, lehnte sie ihre Teilnahme mit der Begründung ab, sie sei nicht bereit, auf dem Grab ihres Vaters herumzutreten.