Günter Jäger

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Ja, mein Name ist Günter Jäger. Ich bin in Meiningen geboren am 31. Januar `30. Hab ´ne gute Jugend gehabt, und, naja, was kann ich sagen noch? Bin 1936 zur Schule gekommen, 1944 aus der Schule, 8. Klasse, und hab den Seemannsberuf gewählt. Zum Ende des Krieges, zuletzt haben wir noch kurz vor Kriegsschluss Truppen von Dänemark nach Hamburg gefahren. Und als der Krieg aus war, waren wir in Brunsbüttel, das war die letzte Station vom Nord-Ostsee-Kanal oder Kaiser-Wilhelm-Kanal, wie wir ihn genannt haben. Und dort haben wir das Kriegsende erlebt. Naja, ich hab in Richtung Meinigen mich aufgemacht, weil ich gedacht hab, Meiningen wurde der Markt bombardiert zwar und alles, aber die haben damals in der Zeitung so viel Propaganda gemacht, die Nazis, dass die Besatzung von Eisenach und Meiningen hält sich und die Zeitung haben wir in Hamburg gelesen, als wir da mal aus waren. Denn in Hamburg war der Krieg ja erst am 8. Mai aus, eh wir den Engländer gesehen haben. Mein Collane hab ich in Güterwagen hinter mir an so einen Nagel gehängt und als ich das erste Mal umgestiegen bin, war der Collane weg. Mein Seesack war noch da, weil ich drauf geschlafen hab. Nur mein ganzes Geld, ich hatte über dreihundert Mark als Fünfzehnjähriger ausgezahlt gekriegt, das war der Lohn für das ganze Jahr, obwohl wir in Norwegen norwegisches Geld gekriegt haben, aber der Lohn, die Heuer von, damals gab es fünfundzwanzig Mark im Monat, die wurde da vom Seemannsamt dann ausgezahlt. Und das war alles in meiner Brieftasche. Naja, ich hab am Anfang bei meinem Vater, der hatte ein kleines Gemüsegeschäft gehabt, gearbeitet. Aber dann hieß es in der Zeitung: Wer keine Arbeit hat, kriegt auch keine Lebensmittelkarten. Also musste ich mir Arbeit suchen. Bin ich in RAW, Meiningen war ja früher nur eine Beamtenstadt, da gab es überhaupt keine Industrie, und da bin ich in RAW, das war die einzige Fabrik. Hier in Meiningen? In Meinigen. Reichsbahnausbesserungswerk? Reichsbahnausbesserungswerk, und da hab ich als Hilfskesselschmied gearbeitet und hab mich aber angemeldet als Lehrling, und das fing im September an die Lehrlingseinstellung. Und wann haben Sie angefangen beim RAW? Beim RAW habe ich angefangen so Ende März. Eines Tages hatte ich die zweite Schicht. So gegen 10 Uhr kommt der Brigadier von der Kesselschmiede. Ich war gerade in der Lok drin, hab da einen Kessel ausgebohrt. Und: "Günter, du sollst mal in die Meisterei." Wissen Sie, wann das war? Das war so am 4. Juni. ´46? 4. Juni `46. Ja. So abends gegen 19 Uhr. Naja, musst ich mit auf die Kommandantur. Auf der Kommandantur war schon mein Vater. Der guckt mich an, als ob ich, der wusste auch nicht, was los war. Ich wusste auch nicht, aber unterhalten durften wir uns nicht. Haben uns nur angeguckt und wussten nicht, was los war. Naja. Als es nun so gegen 1 Uhr nachts war, da wurden wir getrennt und ich wurde in einem Auto zur Fronfeste gefahren, das war damals das Gefängnis, hieß Fronfeste. Hier in Meiningen. Habe ich die ersten vierzehn Tage keine Vernehmung, nix, gar nichts. Das, ich wusste gar nicht, warum ich dort war, was ich dort sollte. Bei der ersten Vernehmung, da hatte ich einen Schulkameraden, der hatte eine Pistole, da ist mir ein Licht aufgegangen, der war schon ein paar Tage eher eingesperrt und der hat mich dann angegeben, dass ich praktisch von seiner Pistole gewusst hab. Aber der hat ja mit der Pistole so sehr gebranzt und angegeben, dass das so viele gewusst haben, aber mich haben sie eingesperrt. Naja, und zur Verurteilung: Ich wurde nach einem halben Jahr Einzelhaft, wurde ich dann verurteilt zu zehn Jahren Zwangsarbeit Sibirien. Aber man hat mir erklärt, dass ich praktisch verpflichtet gewesen wär, den Jungen anzuzeigen. Das wär meine Pflicht gewesen. Deswegen hab ich jetzt die zehn Jahre gekriegt. Ja, ich sollte am Anfang viel unterschreiben, was ich gar nicht gemacht hab, nur damit sie was in der Hand hatten, dass ich etwas ausgefressen hatte. Und naja, ich wollte da nicht unterschreiben, aber da ist es mir nicht gut gegangen. Was heißt das? Naja, da hab ich viel Folter und Zeug erleben müssen und zum Schluss, als wir aus der Einzelhaft raus und zusammen waren, da haben wir uns auseinandergesetzt und haben unsere, praktisch unsere Erlebnisse von den Verhören, die haben die anderen gesagt, da wärst du schön dumm, dass du nicht unterschrieben hast. Wir haben alles unterschrieben, was wir gar nicht gemacht haben und dadurch haben wir auch keine Schläge gekriegt. Sie haben am Schluss dann auch was unterschrieben? Ja, zum Schluss hab ich nachher da unterschrieben. Und naja, Sachsenhausen. Was gibt es da? Da waren dreistöckige Gestelle ohne, in Sachsenhausen, ohne Matratze, da lagen wir auf dem blanken Holzboden. Also, so gut als wie auf dem Fußboden gelegen. Drei Stück übereinander. Ich hab unten gelegen. Da sind viele gestorben. Eines Tages tröpfelt es, und da hab ich mich aufgemacht, dass ich hinauf kam, denn es gab ja Leute, bevor sie gestorben sind, haben sie unter sich gelassen und die hatten, wenn jetzt eine Strohmatratze da gewesen wäre, die hätte das ja vielleicht aufgesaugt, aber so, das ist ja alles, und dann war oben frei, da sind viele gestorben. Und wenn einer gestorben ist, habe ich mich hochgemacht, da lag ich ganz oben unterm Dach. Aber da hat es auch manchmal reingeregnet. Aber ich, das war in Sachsenhausen im Lager II. Ich bin nicht lange auf der Baracke 62 gewesen, da gab es immer mal Verlegungen, weil das nicht so auffällt, wenn jetzt viele gestorben sind. Dann kamen immer wieder Leute dazu, sonst wär ja, sind viele gestorben, nicht. Und dann haben sie es auch so gemacht: Sie haben mal Lazarette eingeführt, aber das waren keine Lazarette, wo wir keine Medikamente gekriegt haben, gar nichts, das waren Sterbebaracken. Das hieß aber dann Lazarett. Damit das nicht so auffällt, wenn jetzt einer, am Anfang sind sie ja in der Baracke gestorben. Einmal, da waren wir zum Entlausen, das war noch mein persönliches Erlebnis: Ich war fix und fertig, alle Vierteljahr bist du mal zum Entlausen und bist auch vorher gebraust worden, und da waren unter der Brause so hundertfünfzig Mann, also eine ganze Baracke. So. In der Baracke waren dreihundert Mann. Die eine Hälfte ungefähr so hundertfünfzig Mann, die waren unter der Brause. Und da konnte man sich nicht rechts oder links und die war manchmal so heiß und draußen waren zwanzig Grad Kälte, und wenn du jetzt aus dem Heißen rauskommst und draußen auf einmal, ich bin selber geschlichen, ich war der letzte bei dem Marsch hinter zur Baracke. Ich war dann auf der Baracke 52, zu der letzten Baracke, war immer ganz schön Weg, da mussten wir durch die ganze zweite Zone. Einmal war ich Kalfaktor. Da musste ich, jeder war mal dran, musste ich den Waschraum, also, da waren so von den Toten, die jetzt über Nacht gestorben sind, die sind immer in den Waschraum gelegt worden, bis sie geholt worden sind. Und eines Tages hatte ich auch Waschraum, musste ich saubermachen, da lagen die Toten aber noch drin. Mit Mund auf, und ich hab sie gekannt, das waren ja von meiner Baracke, von meiner Seite, und Mund auf, als wenn sie eine Stahl hätten und kein Goldzahn, der hat alles voll Goldzähne gehabt, und der andere auch. Also gab es Kalfaktoren, die das raus und haben denen praktisch das Gold den Russen zugeschoben. Denn die konnten ja nix mit anfangen, die Deutschen. Ich war mal im Karzer in Sachsenhausen. Da gab es die ersten drei Tage auch nix zu essen, da war ich da, da konnten wir uns noch nicht mal setzen, da haben wir uns nur gekniet, wenn wir schlafen wollten oder an der Wand gelehnt. Wie war der Karzer? Wie war der gebaut? Der war da, wo die Sterbebaracke, oben drüber die Sterbebaracke und unten im Keller war der Karzer. Wie groß war der? Oh, der war groß. Der war so groß wie das da hier. Nichts drin? Nix drin, nein. Drei mal vier Meter? Kein Sitzplatz, kein gar nichts. Fenster waren auch nicht, nur ein ganz schwaches Licht. Es war aber doch ganz schön, also, es war deswegen so schlimm, es war nass unten, kein Wasser in dem Dings, aber es war nass. Mit dem Hintern konnte man sich nicht draufsetzen, nicht, also, man musste sich stellen. Und da hatten wir die Schuhe an und alles anlassen dürfen. Während in Meiningen, da hatten die mir ja noch die, das Sommerhemd, die Ärmel noch unter das Zeug. Wie lange mussten Sie in dem Karzer sein? Ich glaub, acht Tage. Wir haben meistens, aber ich hab mich da nicht so sehr dran beteiligt, die haben meistens vom Kochen und was gut schmeckt und vom Essen, weil sie nix hatten. Ganzen Tag haben die gekocht. Aber der Kumpel, der es nicht überlebt hat, der bei mir unterm Dings, Decke geschlafen hat, der hat nun auch Tbc gehabt: "Oh Günter, wenn wir rauskommen, wir schlachten einen Hund." Sage ich: "Wieso einen Hund?" "Das Hundefett ist gut für Tbc. Das ist gesund, da werden wir unsere Tbc los." Er hat es aber nicht gepackt. Und ich hab auch keinen Hund geschlachtet. Naja, ich hab es sehr verdrängt, ich hab das eigentlich, das ist erst alles wieder aufgekommen, wie die Wende kam, wo man sich drüber unterhalten konnte.

Dann haben sie es so gemacht: Sie haben Lazarette eingeführt, aber das waren keine Lazarette, weil wir keine Medikamente gekriegt haben, gar nichts, das waren Sterbebaracken. Das hieß aber dann Lazarett. Damit das nicht so auffällt.

Biografie

Günter Jäger vor der Festnahme 1946

Günter Jäger, Jahrgang 1930, will Seemann werden. Zum Kriegsende arbeitet er auf einem Schiff, das deutsche Soldaten aus Dänemark nach Hamburg bringt. 1945 ist es für Günter vorbei mit der deutschen Seefahrt und er fährt nach Hause nach Meiningen. Um Lebensmittelmarken zu bekommen, sucht er nach Arbeit und wird Hilfskesselschmied im Reichsbahnausbesserungswerk. Im September 1946 soll er hier eine ordentliche Lehre beginnen.

Doch als er gerade im Kessel einer Dampflok arbeitet, wird er verhaftet und erst in die sowjetische Kommandantur

Die Streitkräfte der Sowjetunion nannten sich „Rote Armee". Die Soldaten aus dem Vielvölkerstaat Sowjetunion waren unterschiedlicher Nationalität, die meisten waren Russen. Ihr Symbol war der rote Stern. Noch im Jahr 1990 waren in der DDR ca. 340.000 sowjetische Soldaten und 208.000 Zivilangestellte stationiert.

und dann ins Meininger Gefängnis gebracht. Er hofft, dass sich der Irrtum bald aufklären wird. Dann beginnen die Verhöre. Der Vorwurf lautet: Mitwisserschaft von Waffenbesitz. Ein Freund hatte laut geprahlt, er besitze eine Pistole. Günter hat ihn daraufhin nicht angezeigt, das ist sein Verbrechen. Sein Freund wurde dennoch verhaftet und nannte im Verhör die Namen derer, die von seiner Pistole wussten.

Warum er solche Aussagen gemacht hat, lernt Günter bald zu verstehen, denn bei den Verhören geht es extrem brutal zu und irgendwann unterschreibt auch er belastende Protokolle, die er eigentlich nie unterschreiben wollte. Am Ende verurteilt ihn das Sowjetische Militärtribunal zu zehn Jahren Lagerhaft.

Günter kommt ins Speziallager

Das sowjetische Volkskommissariat für Inneres (NKWD) richtete von 1945 bis 1950 in der SBZ/DDR insgesamt zehn Speziallager ein. Anfangs sollten hier nach Kriegsende vorrangig ehemalige Funktionsträger des NS-Staates inhaftiert werden. Gleichzeitigt dienten die Lager zur Zwangsrekrutierung von in der Sowjetunion benötigten Arbeitskräften. In der Folgezeit wurden hier jedoch mehr und mehr Personen festgehalten, die als Gefahr für die Besatzungsmacht oder für den Aufbau der neuen Gesellschaftsordnung angesehen wurden.

Sachsenhausen

Im August 1945, nach Ende des Zweiten Weltkriegs, internierte der sowjetische Geheimdienst nichtverurteilte deutsche Zivilisten im ehemaligen nationalsozialistischen Konzentrationslager Sachsenhausen. Ab 1946 war die Zone II des Lagers Haftort für Verurteilte der Sowjetischen Militärtribunale (SMT). Insgesamt waren bis 1950 in diesem Lager 60.000 Menschen inhaftiert. In dieser Zeit starben 12.000 an den Haftbedingungen. Das Lager wurde im Frühjahr 1950 aufgelöst.

und muss lernen zu überleben. Er schafft es, in Arbeitskommandos zu kommen und kann den Anblick der Toten mit den offenen Mündern nicht vergessen, denen andere Häftlinge die Goldzähne herausgebrochen haben, um dafür beim Wachpersonal etwas zu essen einzutauschen.