Herbert Damer

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Na, wie ich in Schaffelde zur Schule gegangen bin, kann ich mich so ein bisschen erinnern, ja, und dann Bombenangriffe, da kam die Sirene, los, alle, ab, ab, nach Hause. Und ich bin dann nach Hause gegangen. Das ist in den Kriegsjahren mehrmals passiert, auch auf den Dörfern. Was ich jetzt erzähle ist ´45 gewesen. Da war ich dreizehn Jahre, bin ich noch zur Schule gegangen. Und im nächsten Jahr, ´46 bin ich aus der Schule gekommen, hab denn drei Jahre zuhause Muttern geholfen auf dem Hof, und wie gesagt, ich wollte dann einen Beruf lernen, mir war Landwirtschaft nicht so das Richtige, und bin dann zur LEW gegangen, bin auch angekommen und habe dort auch ausgelernt. Gehungert haben wir nicht. Es hat keiner gehungert. Wir hatten alle so satt zu essen und erstmal hatten wir in den schlechten Zeiten den Hof, wir hatten Kühe, hatten Milch, Kartoffeln haben wir selber geerntet. Und es war schon schwierig, wir mussten ja auch sehr viel, konnten, das Soll meiner Mutter, das Soll nicht erfüllen, weil wir hatten einen ziemlichen Sandboden. Wenn es so trocken war und es regnete nicht wochenlang, denn ist der Roggen immer kleiner geworden. Naja, und denn konnte sie nicht erfüllen, und musste man zur sowjetischen Kommandantur, dann haben sie da eingesperrt über Nacht. Und draußen ist ein Posten rumgelaufen, und da hat sie so geschrien, sagte sie, halb Kremmen muss da, da musste sie zur Kommandantur: Ja, und sie muss erfüllen. Und dann hat sie gemerkt, du kommst hier nicht raus, wenn du nicht unterschreibst. Denn hat sie unterschrieben, dass sie erfüllen will. Man konnte ja denn, sage ich mal Raps für Getreide oder tauschen, das konnte man umrechnen, um das Soll zu erfüllen. War so furchtbar schwer. Und naja, und dann hat sie da unterschrieben, dass sie doch erfüllen will und dann hat man sie am nächsten Morgen rausgelassen und sie hatte ja auch Angst vor dem Posten wegen Vergewaltigung und sowas, ist doch auch klar. Und nachts, wer passt denn da schon groß auf, nicht? So, ist aber nichts passiert. Und dann ist sie am nächsten Tag ab nach West-Berlin. Hatte unterschrieben, dann haben sie sie rausgelassen und dann ist mit meinen beiden Geschwistern und ich sollte auch mitkommen, ich sage: Nee, ich bleib erstmal hier. Wenn, dann kann ich immer noch nachkommen. Denn die Grenzen waren ja noch offen, ´53. 17. Juni 1953 Da kommen wir so um die Ecke, und da kommen schon die Kollegen aus der Tischlerei und aus der Werkzeugmacherei, die war daneben, jedenfalls kamen da schon die ganze Menge Leute an. "Und dann wird gestreikt und du musst mitkommen, hier, und", und dann tauchte auf einmal die Frage auf: "Was nun?", jetzt sind wir, wir sind gekommen und jetzt hatte ich das Empfinden und so war´s ja auch: Es wusste gar keiner, warum, was machen wir denn nun, jetzt streiken wir und was nun? Und da kam, irgendwie kam die Meinung auf, wir marschieren nach Berlin. Und dann wurde die Parole raus, hat einer dann rausgebrüllt: "Wir reißen dem Ulbricht den Spitzbart ab!" Na, das war dann das Motto. "Ulbricht den Spitzbart ab!" "Ja, und wir kommen auch mit und wir kommen mit und ja, los, los!" Und dann drehte sich die ganze Sache um, die Stahlwerker liefen weiter und wir machten kehrt und dann Richtung nicht zur LEW, sondern Niedere Havel, nach Stolpe-Süd rüber an den See, West-Berlin. Und denn, das kann ich noch ganz genau erinnern: Die S-Bahn fuhr ja früher und wir konnten `53 bis `61 auch nach West-Berlin fahren, wir als DDR-Bürger. Aber der Straßenverkehr war von hier zum Beispiel dort gesperrt und wahrscheinlich um ganz West-Berlin, soweit ich mich erinnern kann. Der Straßenverkehr war gesperrt. Und da kommen wir, dann nennt sich das Stolpe-Süd, das ist kurz vor Heiligensee, das ist auch so eine Siedlung, und da war auf einmal ein Telegraphenmast über die Straße, also zwei abgesägte Telegraphenmaste in die Erde gebuddelt, eingestampft und so auf, ich sag mal, siebzig, achtzig Zentimeter oder, ja, siebzig vielleicht, ein weiterer Telegraphenmast, also rechts und links der Straße eingebuddelt und denn der Telegraphenmast quer rüber und mit so Stahlbändern noch so festgemacht. Und davor lagen Rollen Stacheldraht, also, mit einem Fahrzeug konntest du da nicht mehr rüberfahren. Aber Sie können sich gar nicht vorstellen, wie schnell der Stacheldraht weg war, ich traute mich gar nicht, da anzufassen, keine Handschuhe und dann den Stacheldraht anfassen. Im Nu war der Stacheldraht weg und in den Graben geschmissen. So, und nun der Balken da. Und da hab ich die Kraft der Arbeiterklasse mal kennengelernt, wie man so schön sagt, da sind Mann an Mann von uns, ich selber hab auch mit angefasst, und Reihe an Reihe, zwanzig Leute vielleicht, oder fünfzehn, habe ich nicht gezählt, aber soweit wie die Straße war, bis, also, von der Sandseite bis zu der, also über das Pflaster rüber. Und mit einmal hat einer "Hauruck!", und da kamen die beiden dann raus, aus dem, was eingebuddelt war, in den Graben geschmissen und weitergelaufen. Und zwanzig, oder waren es fünfundzwanzig Meter, da war nun ein Schilderhäuschen, da stand ein Stummpolizist. Sie wissen, warum ich sage "Stummpolizist"? Weil der Präsident Stumm hieß. Ehemals in West-Berlin. Und der wusste gar nicht, was los ist, der guckte nun, man merkte ihm die Nervosität an, was denn, jetzt kommen hier Hunderte Leute an, wobei das nachher ja Tausende waren, aber soweit wie der gucken konnte, war da zumindest die ganze Straße voll. Die kamen nun auch von Baumechanik und da gibt es noch paar andere Betriebe, die sich auch angeschlossen haben an den Zug. Aber das haben wir vorne nicht mitgekriegt, wir haben bloß gesehen, wir waren da vorne und hinter uns waren lauter Menschen. Und dann in seiner Verzweiflung, oder, der wusste nicht, was er machen sollte, der Polizist, er an seinen Hörer ran, hatte da so einen Fernsprecher, und es dauerte keine fünf Minuten, da war ein Funkwagen da, die kamen vom Bahnhof Heiligensee, ist ja nicht weit mehr von dem Grenze, was ich eben erzählte bis zum Bahnhof Heiligensee, vielleicht hundert Meter oder was. Da kommen gleich zwei oder drei Funkwagen an, aber die haben nicht versucht, aufzuhalten, die waren auch verdattert, irgendwie, dann haben die uns nur "Bitte gehen Sie rüber auf die Bürgersteige!" Die Straße, nicht die kleine Straße bis zum Bahnhof Heiligensee, aber unterm Bahnhof Heiligensee, da ist so eine Brücke, da gab es Kraftfahrzeugverkehr. Wenn man rüber läuft weiter nach Tegel. Und dann haben die uns praktisch begleitet durch ganz West-Berlin. Wir kommen nach Ost-Berlin rein, das ist nun Chausseestraße jetzt, und da waren an einem Gebäude rote Fahnen, war das so eine Thälmanngedenkstätte, irgendwas, weiß ich nicht mehr. Jedenfalls rannten die, Fahnen runtergerissen, die roten Fahnen, so. Von uns Leute, von denen. Stückchen weiter das Walter-Ulbricht-Stadion. Da waren schon welche oben und haben die Leuchtröhren "Walter", "Ulbricht", "Stadion" war alles aus Leuchtröhren gemacht, nicht, runtergerissen, kaputtgemacht. Und ich bin denn, ich bin auch hochgegangen auf die, das war ja kein Problem, weiß gar nicht, wie ich da, waren da so Absätze dran oder wie, jedenfalls bin ich da ohne Weiteres raufgekommen Jetzt kommt Friedrichstrasse, Friedrichstrasse, unterm Bahnhof durch, Unter den Linden. So, da vorne war die, auf der Straße Unter den Linden, standen LKWs. LKW an LKW und da drauf Bewaffnete, ich glaube, es waren Russen, also ich kann das nicht, man hat sich ja keinen Ausweis zeigen lassen, können wir ja nicht. Aber jedenfalls waren Mannschaften drauf mit einer Waffe vorne zwischen den Beinen auf so einem, ja, auf so einem LKW, so ein Mannschaftswagen. Aber mehrere, die Unter den Linden, um die Friedrichstrasse im Weitergehen zu sperren, da durften, konnten wir nicht mehr durch. Haben aber noch keinem was getan, also, wir haben die gesehen, wir sind dann links eingeschwenkt Unter die Linden. Und auf dem Weg haben wir dann nach links, also Richtung Marx-Engels-Platz gegangen, und haben dann eine Blutlache gesehen und da hatte aber schon jemand, war das ein Klotz oder eine Schachtel, ein kleines Kreuz rangemacht, und da muss wohl was passiert sein, ob sie einen überfahren haben oder erschossen, keine Ahnung. Jedenfalls war da was Rotes, rote Flüssigkeit, also rot war das auf der Straße, und dann das Kreuz da drüber. Also, ich sagte vorhin schon, ein politisches Motiv hatten wir als Jungs nicht. Oder ich hatte es nicht, ich kann ja nur von mir selber sprechen. Aber wie gesagt, man kriegt ja doch mit, dass es keine Freude über den Ulbricht gab, das kriegt man ja mit. Und, ja, während der Schule wurde, in der Berufsschule wurde auch versucht, die Parteipolitik den Jugendlichen nahezubringen, aber das hat mich nicht weiter interessiert. Ich war, wenn da mal was zu machen, was zu schreiben oder was, dann hat man das eben gemacht, damit man irgendwie die Sache besteht. Aber ansonsten habe ich mich da rausgehalten. Natürlich hat man damals noch ein bisschen nach dem Westen geschaut, aber, naja. Mutter hat auch öfter mal ein Paket geschickt. Also, wir sind schon über die Runden gekommen. Es war natürlich schwierig. Wenn man von der Schule kam, fünfhundert, ja fünfhundert/fünfhundertfünfzig Euro im Monat gehabt, Ost. Und das hat sich denn auch erst mit, weiß ich nicht, ein Jahr oder zwei Jahre später, hatte ich denn, was weiß ich, sechshundert/sechshundertfünfzig. Naja, ich meine, waren schon schwierige Zeiten damals, ja, schon. Das war ja nicht so. Die Menschen waren, hatten einen gewissen Unmut, sage ich mal. Der natürlich nicht rausgeplauzt wurde, wurden auch viele Witze gemacht über Ulbricht und sowas, aber direkt auf die Straße gegangen ist keiner, nun plötzlich entstand das dann, waren Leute, und dann hat man sich dazugesellt und sind das immer mehr geworden. Also, es war ja eine Massenbewegung. Und nicht nur in Berlin hier, sondern auch in vielen Großstädten der DDR.

Plötzlich entstand das dann, waren Leute da, und dann hat man sich dazugesellt und dann sind das immer mehr geworden. Also, es war ja eine Massenbewegung. Und nicht nur in Berlin, sondern auch in vielen Großstädten der DDR

Die Deutsche Demokratische Republik wurde am 7. Oktober 1949 auf dem Gebiet der Sowjetischen Besatzungszone gegründet. Sie hatte den Charakter einer kommunistischen Diktatur nach sowjetischem Vorbild.

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Biografie

Herbert Damer ist 1945 bei Kriegsende 13 Jahre alt, geht zur Schule und lebt mit seiner Mutter auf einem Bauernhof im Berliner Umland. Der Hof ernährt die Familie in den Notzeiten zuverlässig und als Herbert 1946 die Schule verlässt, muss er selbstverständlich in der eigenen Landwirtschaft mitarbeiten. Das macht er drei Jahre lang, doch dann will er einen Beruf lernen. Im LEW Hennigsdorf, einem Hersteller von Elektrolokomotiven, bekommt er eine Lehrstelle.

Für den heimischen Hof wird es überdies eng. Herberts Mutter kann ihr Abgabesoll, also die vorgeschriebenen Lieferungen, die jeder Bauer an den Staat zu leisten hat, nicht mehr erfüllen und wird zur sowjetischen Kommandantur

Die Streitkräfte der Sowjetunion nannten sich „Rote Armee". Die Soldaten aus dem Vielvölkerstaat Sowjetunion waren unterschiedlicher Nationalität, die meisten waren Russen. Ihr Symbol war der rote Stern. Noch im Jahr 1990 waren in der DDR ca. 340.000 sowjetische Soldaten und 208.000 Zivilangestellte stationiert.

vorgeladen. Dort brüllt sie der diensthabende Offizier nicht nur an, sondern lässt sie auch gleich einsperren. Als man am nächsten Tag von ihr verlangt, sich schriftlich zu zusätzlichen Abgaben zu verpflichten, unterschreibt sie, nur um rauszukommen. Die Angst, für viele Jahre in sowjetischen Lagern zu verschwinden, ist so groß, dass Herberts Mutter sofort nach West-Berlin

West-Berlin war der von den West-Alliierten USA, Großbritannien und Frankreich nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges besetzte westliche Teil Berlins. West-Berlin war umgeben von der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) und späteren DDR. Seit 1961 riegelte die Berliner Mauer mit tödlicher Grenzanlage Ost-Berlin ab.

fahren will. Herbert allerdings will im Osten

Umgangssprachlich für die Deutsche Demokratische Republik (DDR) und deren Hauptstadt, den Ostteil Berlins.

bleiben. Im LEW gefällt es ihm. Vielleicht komme er später nach, sagt er ihr.

Am 17. Juni 1953 zieht er dann zusammen mit tausenden Hennigsdorfern durch West-Berlin

West-Berlin war der von den West-Alliierten USA, Großbritannien und Frankreich nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges besetzte westliche Teil Berlins. West-Berlin war umgeben von der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) und späteren DDR. Seit 1961 riegelte die Berliner Mauer mit tödlicher Grenzanlage Ost-Berlin ab.

nach Ost-Berlin

Der sowjetische Sektor der Stadt Berlin umfasste den östlichen Teil. Ost-Berlin wurde zum Synonym für den kommunistischen Teil Berlins. Die DDR erklärte den sowjetisch besetzten Teil Berlins 1949 zu ihrer Hauptstadt. Seit 1961 waren Ost- und West-Berlin durch die Berliner Mauer geteilt.

. Die Belegschaft des LEW hatte sich entschlossen, vor dem DDR

Die Deutsche Demokratische Republik wurde am 7. Oktober 1949 auf dem Gebiet der Sowjetischen Besatzungszone gegründet. Sie hatte den Charakter einer kommunistischen Diktatur nach sowjetischem Vorbild.

-Regierungssitz gegen die SED

Die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) entstand 1946 in der Sowjetischen Besatzungszone durch Zwangsvereinigung der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) und der Sozialdemokratischen Partei (SPD). Die SED war eine marxistisch-leninistische Staatspartei, die ihren allumfassenden Machtanspruch umsetzte, indem ihre Funktionäre alle wichtigen Bereiche der Gesellschaft besetzten.

-Herrschaft zu protestieren, doch kurz vor ihrem Ziel treffen sie auf sowjetisches Militär und sehen die erste Blutlache auf der Straße.