Horst Klepel

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Ich bin Sohn einer einfachen Familie im Grunde genommen. Wir lebten in Wittenberge und mein Vater war Kaufmann, er lebte aber, er hat gearbeitet in den Singer-Nähmaschinenfabriken und meine Mutter kam aus der Landwirtschaft und dort bin ich groß geworden in Wittenberge und war denn auch während meiner Ferien immer in der Landwirtschaft tätig, während des Krieges. Auf alle Fälle kam der 30. Dezember 1945 ran und ich wurde morgens um drei Uhr aus den Betten geholt. Ich schlief in einer Mansarde in meinem elterlichen Haus, oben auf dem Boden. Und eine, zwei, ein Offizier und zwei, ein Sergeant und ein einfacher mit Maschinenpistolen und ein Deutscher dabei, die haben mich da oben verhaftet sozusagen. Sie sprachen nicht von Verhaftung, sondern sie sprachen nur, ich sollte mal zu einem Verhör mitkommen und meinen Eltern, mein Vater war ganz erschüttert, was das soll und er wusste ja von nichts, und da haben sie dem Vater gesagt: Er, wir wollen die Jungs zur Umschulung, wollen wir sie mitnehmen. Naja, ich, ich bekam eine Decke von meiner Mutter und hab den Mantel angezogen und einen Pullover und ein paar Schuhe und denn verschwanden wir von zu Hause und wurden ins, im Amtsgericht in Wittenberge erstmal kam ich in eine Zelle. Eine halbe Stunde später brachte man mir meinen Schulfreund, den Klaus Adlung hinterher. Nun saßen wir beide da und haben uns erst mal ein bisschen mit Tränen gegenseitig getröstet und ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen in diesem Zusammenhang, das war meine letzte Träne, die ich geweint habe. Später nicht mehr. Denn ich hab mich dann auf das Schlimme eingestellt und der Krieg war ja lang genug gewesen. Wir sind als Jungs durch viel, viel Böses gegangen, wir haben Tote gesehen, wir haben die Angriffe miterlebt der Amerikaner und der Engländer und das härtet auf eine Art, härtet das die ab, die sich damit befassen. Ja, man wollte von mir wissen, alles Mögliche, welche Rolle ich in der Hitlerjugend hatte, ich sage: Ich war ja nicht in der Hitlerjugend. Ich war im Deutschen Jungvolk, das hat der aber nicht begriffen, der Offizier, nicht wahr, die kannten ja nur ihre eigenen Jugendgruppierungen. Und außerdem habe ich gesagt, ich bin ja Jahrgang ´31, ich war noch viel zu jung dafür und so weiter. Ich konnte mich dieser blöden Ausrede, konnte ich mich immer wieder aus bestimmten Dingen rausziehen. Das hat mich aber nun in, mir persönlich in Brandenburg nichts eingebracht, denn ich habe die Prügel mit der Knute nach wie vor gekriegt, weil ich ein bisschen frech war. Ich war frech und ich hatte eine Dolmetscherin, ein Ukrainerin, eine blonde, und irgendwie bin ich, weil ich klein war, war ich wahrscheinlich, hatte ich ihr Mitleid erregt, jedenfalls als die Prügelei mit der Knute, die dann über den Rücken ging, zu schlimm wurde, denn hat die immer eingegriffen, bei den ersten beiden Verhören. Die hat, die konnten von mir ja nichts erfahren, ich war ja ein kleiner Junge. Dann haben sie gefragt: Wer ist dein Vater? Ich sage, mein Vater ist ein einfacher Arbeiter. Und deine Mutter? Ist eine einfach Landtante. Das haben sie gefragt, aber das, das hat sie, war ja, was soll der Quatsch. Und um weiter zu sprechen über Brandenburg: Wir waren nun vor dem Tribunal da und dann, die Verhöre waren beendet, wir wurden alle nach Paragraph 58, Kriegsparagraph: aktives Mitglied einer illegalen faschistischen konterrevolutionären bewaffneten Partei! "Wie bitte?" Haben wir alle gefragt! "Faschistisch" ging uns ja nun noch, war ja klar, aber "bewaffneten Partei" oder "konterrevolutionär" und was weiß ich, was die alles gequatscht haben, das war für uns zu viel, das konnten wir nicht begreifen, nicht. Es ging los, die ersten zehn: Todesurteil. Und ich kam als elfter und bei mir ging es mit zehn Jahren los. Können Sie sich vorstellen, meine Damen und Herren, muss ich sagen, dass mir ein Herz von unten, dass ich, also, ich hab gesagt: Mensch, hast du ein Glück gehabt! Horst Klepel wird 1946 zu zehn Jahren Lagerhaft verurteilt und kommt am Jahresende ins Speziallager Sachsenhausen. Der Anfang in Sachsenhausen war für uns ganz gut, wir kriegten ein großes Stückchen Brot, sechshundert Gramm, Kuhle haben wir dazu gesagt. Und kriegten zweimal am Tag eine Büchse mit Essen. Suppe erst und so weiter. Jedenfalls zweimal am Tag und das wurde dann reduziert auf einmal, ´46. Das ging gleich los, im Dezember ging es schon los. Wir haben nur ein paar Wochen gehabt, wo es einigermaßen erträglich war und denn wurde das Essen um fünfzig Prozent gekürzt. Dreihundert Gramm Brot nur noch und eine Büchse Wassersuppe. Und das war für viele zu wenig. Ich meine, mager sind wir alle gewesen, sicher. Ich habe mich zu der Zeit immer unwohl gefühlt, weil ich von vorherein so erzogen war, dass ich immer irgendwas arbeiten musste. Meine Mutter hatte mich dazu erzogen, mein Onkel hatte mich auch in der Landwirtschaft, wenn ich in Ferien da war, zu erzogen und das Rumsitzen und das war furchtbar. Und wenn irgendjemand gefragt hat von den Russen: Wer fegt heute die Lagerstraße? - ich hab mich immer gemeldet. Und die Lagerstraße bot insofern etwas Günstiges, es kam auf die Jahreszeit drauf an, auf alle Fälle gab es dort Löwenzahn und den Löwenzahn hab ich mir gepflückt, die Blätter, die konnte man in die Suppe machen. Das Wetter, das Essen hatte sich dann ´47 ein bisschen gebessert und wir hatten dann auch etwas mehr Brot gekriegt. Vierhundertfünfzig Gramm dann, ja. Und da in dieser Krätzebaracke konnte man mit den anderen hantieren und tauschen. Und ich hatte eine Jacke an, die war völlig zerrissen. Ich musste sie ja die ganzen Jahre, also, die ganzen Monate und Jahre tragen, und die war so zerrissen. Und da wollte ich mir eine, hab ich mir Brot aufgespart und wollte denn da eine kaufen. Es, das war ja unser Geld: Brot. Brot gegen Jacke oder, nicht, so. Also, ich hab meine Arme aufgekratzt, hab noch ein bissel Sand reingewürgt und denn wurde das ein bissel entzündet und dann hat der Sergeant gesagt: Aber nix wie in die Kratzebaracke! Und ich kam dann für acht Tage in die Krätzebaracke und hab dort auch eine Jacke erwischt für das Brot, eine Fliegerjacke aus dem Krieg. Die war wie so eine, ich möchte sagen, das war keine, keine elegante Jacke, sondern so was man bei den Fliegern als Bodenpersonal getragen hat. Aber die hatte große Porzellanknöpfe. Solche großen Porzellanknöpfe hier. Und zwei Taschen, das genügte mir. Ich entdeckte, nachdem ich die Jacke einige Tage, ich hab sie vielleicht vierzehn Tage getragen, und da war irgendwie ein Riss drin und dann fass ich rein und da merke ich irgendwas drin im Futter. Und da habe ich zwei Ringe rausgeholt. Einen Goldring und einen Ehering und einen anderen mit einer kleinen, irgend so ein Stein da drauf. Und die habe ich verkauft an die Russen, an den Sergeanten. Habe ich ihm gezeigt: Willst du haben, Gold? Das ging damals schon. Die hatten ein anderes Bild von uns gekriegt, die Russen, ja. Die kamen da auch nicht mit Waffen rein, um Gottes willen, das durften sie ja nicht, ne. Aber man konnte mit dem reden. Und da hat der gesagt: Was willst du haben? Und da hab ich gesagt: Zehn Päckchen Machorka. Das sind solche Päckchen gewesen. So ein Grobtabak. Ich wollte nicht rauchen, nee, wir wollten das verkaufen. Wir hatten ja alles Raucher in den, zweihundertdreißig Mann drin in der Baracke und denn habe ich das immer verkauft für ein Stück Brot. Und eines Tages kam denn einer und hat gesagt: Horst Klepel raus! Nun haben wir alle gedacht - man denkt immer nur an Böses. Nicht, diese pessimistische Eigenart hatte sich ja bei uns eingebürgert. Mensch, wieso holen die dich? Hast du irgendwas angestellt? Bist du frech gewesen? Hast du einen gehauen? Nein. Ich konnt gar keinen hauen. Jedenfalls haben sie mich rausgeholt und haben mich denn in eine, in die Vorzone, also in die Zone, wo die Internierten waren, gebracht. Das war die erste Zone in Sachsenhausen, wo auch der große Platz war. Und da brachten die mich in ein Ding rein, da waren denn andere Männer, und da waren das die Bäcker. Und da hat er dann gesagt zu den anderen, das waren 24 Mann, das waren zwei Zwölfer. Zwölfe haben immer gearbeitet eine Schicht. Eine Schicht dauerte immer 12 Stunden. Und so wurde denn gearbeitet. Wir haben morgens angefangen bis abends, und dann haben wir eine Woche Nachtschicht, ja, so war das: "Und dieser Junge hier, der wird als Läufer eingesetzt. Der hat euch das Essen zu holen mit einer Karre aus dem Hauptlager von der Küche, der wird bestimmte andere Gruppierungen kriegen. Ich werde mit dem Oberstleutnant sprechen, mit dem russischen. Der stellt ihm einen kleinen Ausweis aus, damit er durch das Tor kommt. Wissen Sie, also mehr konnte mir nicht passieren damals. Das war das, das war wirklich ein Sechser im Lotto. Ja, aber das, ich muss ganz ehrlich sagen, wir haben auch in dem Maße nie wieder so viel Glück gehabt, wie ich damals alleine hatte, dass ich aus diesem ganzen Schlamassel rauskam. Nach der Auflösung der Speziallager kommt Horst Klepel in die Haftanstalt Untermaßfeld. Wir haben ja nie gewusst, ob wir da jemals rauskommen. Wir haben immer daran gedacht, wir haben zehn Jahre und dann werden wir wahrscheinlich bis ´55, vielleicht ´56 drin sitzen hier. Und nun brach das Jahr ´51 an und es kam, ging auf Ostern zu und eines Tages hat einer gesagt: Du, hier, ich hab gehört, da werden welche entlassen. Ja, ich sage denn, gibt es doch gar nicht! Wie, wie soll man uns entlassen? Wir sind doch nicht in irgendeiner Form, das ist doch eine, naja, auf alle Fälle, und denn kam es doch soweit, dass sie oben mich rausgeholt haben und viele andere auch noch mit, junge Leute. Dann wurden wir wieder in den komischen Saal da, der auch in Untermaßfeld existierte, gebracht, aber mit einem Harmonium. Und man hat uns mitgeteilt, die Republik hat sich entschlossen, Wilhelm Pieck hat sich entschlossen, eine Amnestie für junge Leute und so weiter, und so weiter. Nach starker Prüfung, wer keine Verbrechen begangen hat und so weiter. Na gut. Nun wussten wir, och, Mensch, und eine Luft, nicht wahr! Und da ist mir denn erste Mal der christliche Gedanke gekommen, du müsstest dich irgendwie hier, da hab ich mich an das Harmonium gesetzt und hab gespielt. Ich hab manchmal Klavier gelernt, aber nicht viel. Ich war nur zu faul zum Üben, aber das konnte ich: Nun danket alle Gott. Das ist tatsächlich passiert. Ja. Nach der Haftentlassung fährt Horst Klepel zu den Eltern nach Wittenberge. Und denn kam eben der große Kampf für mich hinterher, ich wollte meine Schule machen, ich wollte mein Abitur machen, alles das wollte ich machen, hab mich acht Tage später gleich bewegt. Hab mich in der Schule angemeldet da und hab den Direktor sprechen wollen und da hat der zu mir gesagt: "Wir haben schon gehört, du bist entlassen worden, du bist ein Vaterlandsverräter, sowas stellen wir hier nicht ein." Ich war neunzehn Jahre und wollte was tun, nicht wahr, und da haben sie mich in die Bäckerei gesteckt, in die Privatbäckerei, wo ich dann auch mit meiner Glatze auffiel, und denn hab ich auch viel Schwierigkeiten gehabt, die wollten mich nun so ein bissel anmachen, die anderen. Das war auch eine ziemlich große Bäckerei, da hat es denn Prügel gegeben. Ich hab mir ja nichts gefallen lassen. Das war so. Denn wollte mir der Alte nachher die Bäckerei übergeben, weil ich ja Kinder hatte und hat sich denn aber doch entschlossen, eine PGH zu gründen, Produktionsgenossenschaft. Mehrere Bäcker zusammen, und das hab ich ihm sehr übel genommen. Und da hab ich dafür gesorgt, dass er seine Position als Vorsitzender loswurde und ich hab sie übernommen, das waren immer 130 Leute, die da gearbeitet haben mit Frauen. Fünf Bäckereien, sechs Meister waren wir insgesamt, ich war der jüngste mit meinen paar dreißig Jahren. Ich hab das Ding aber gesteuert, nicht wahr, bis, haben sie mich denn loswerden wollen und ich sollte in die Partei eintreten. Und da haben sie mir Leute geschickt, die kannte ich von früher vom Jungvolk, wo wir zusammen waren. Ich sage: Was willst du denn hier? "Ich bin 1. Sekretär in Perleberg." Solche Typen hast du dabei gehabt, ja. Da sage ich: "Ihr müsst doch verrückt sein." Ich geh doch nicht in die, "Ja, du kannst, kannst du machen." Nee, nee, ich hab nichts gemacht. Naja, und dann bin ich los, hab gekündigt im Betrieb, weil mir die Schwierigkeiten zu groß wurden und außerdem die alten Meister, die haben da gemeutert. Die Damen haben alle zu mir gehalten, ich war vielleicht auch ein bisschen locker, viel zu locker in meiner Lebensart, ich hatte einiges nachzuholen. Das sollte man auch berücksichtigen und diese lockere Art hab ich ja eigentlich die ganze Zeit in meinem Leben immer beibehalten.

Ich muss sagen, das war meine letzte Träne, die ich geweint habe. Später nicht mehr. Denn ich hab mich dann auf das Schlimme eingestellt.

Biografie

Horst Klepel ist 14 Jahre alt, als der Oberschüler kurz nach Weihnachten 1945 verhaftet wird. In den Zellen des früheren Amtsgerichts trifft er Mitschüler, die sich auch nicht vorstellen können, was die sowjetische Besatzungsmacht von ihnen will.

In den Verhören soll Horst die Mitgliedschaft in der Hitler-Jugend gestehen, doch dafür war er viel zu jung. Die Verhöre sind schrecklich. Einzig die ukrainische Dolmetscherin schreitet couragiert ein, wenn er von den Vernehmern zu brutal geprügelt wird.

Im Februar 1946 steht Horst mit einigen Mitschülern vor dem Sowjetischen Militärtribunal. Zehn Todesurteile sind verkündet worden und er ist als elfter dran. „Zehn Jahre“ hört er und ist glücklich. Im Dezember kommt er nach Sachsenhausen

Im August 1945, nach Ende des Zweiten Weltkriegs, internierte der sowjetische Geheimdienst nichtverurteilte deutsche Zivilisten im ehemaligen nationalsozialistischen Konzentrationslager Sachsenhausen. Ab 1946 war die Zone II des Lagers Haftort für Verurteilte der Sowjetischen Militärtribunale (SMT). Insgesamt waren bis 1950 in diesem Lager 60.000 Menschen inhaftiert. In dieser Zeit starben 12.000 an den Haftbedingungen. Das Lager wurde im Frühjahr 1950 aufgelöst.

. Dort sieht Horst das große Sterben, als die Rationen um 50 Prozent gekürzt werden und hat das große Glück, eine Arbeit zugeteilt zu bekommen, die sein Überleben sichert: Er kommt in die Bäckerei.

Bei der Auflösung der Speziallager

Das sowjetische Volkskommissariat für Inneres (NKWD) richtete von 1945 bis 1950 in der SBZ/DDR insgesamt zehn Speziallager ein. Anfangs sollten hier nach Kriegsende vorrangig ehemalige Funktionsträger des NS-Staates inhaftiert werden. Gleichzeitigt dienten die Lager zur Zwangsrekrutierung von in der Sowjetunion benötigten Arbeitskräften. In der Folgezeit wurden hier jedoch mehr und mehr Personen festgehalten, die als Gefahr für die Besatzungsmacht oder für den Aufbau der neuen Gesellschaftsordnung angesehen wurden.

schickt man Horst in die Haftanstalt Untermaßfeld

In die Haftanstalt Untermaßfeld bei Meiningen wurden 1950 über 1200 Gefangene der sowjetischen Militärjustiz eingeliefert. Es waren größtenteils Jugendliche, die das sowjetische Speziallager Sachsenhausen überlebt hatten. Viele von ihnen starben in Untermaßfeld an Tuberkulose. 

. Hier wird er 1951 endlich entlassen und kehrt nach Wittenberge zurück. Dort möchte er wieder zur Schule gehen und sein Abitur machen. Doch als „Vaterlandsverräter“ darf er das nicht. Er landet wieder in einer Bäckerei, allerdings jetzt mit der Möglichkeit Meister zu werden. Als solcher wird er auch PGH-Vorsitzender, jedoch verweigert er den SED

Die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) entstand 1946 in der Sowjetischen Besatzungszone durch Zwangsvereinigung der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) und der Sozialdemokratischen Partei (SPD). Die SED war eine marxistisch-leninistische Staatspartei, die ihren allumfassenden Machtanspruch umsetzte, indem ihre Funktionäre alle wichtigen Bereiche der Gesellschaft besetzten.

-Eintritt und wird bald darauf wieder abgesetzt. Für ihn ist es wichtig, seinen eigenen Weg zu gehen.